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Inhaltsverzeichnis

1 Kongobriefe 2012

1.1 Vorbemerkung

 

Donnerstag, 26. Januar 2012 Der Rucksack ist gepackt. Wieder einmal soll die Reise in den Kongo gehen. Hier eine kleine Vorbemerkung, bevor wir nachher in den Flieger steigen und dann nach gut 10 Stunden in der Luft (mit zusätzlich drei Stunden Transit in Addis Abeba) in Bujumbura, der Hauptstadt von Burundi direkt am nördlichen Tanganjikasee wieder festen Boden unter die Füsse bekommen.

Und wenn nicht zu viele Stromausfälle sind, gelingt dann hoffentlich auch, Euch wieder etwas vom Leben im Ostkongo und zum Schluß auch nochmal einige Eindrücke aus Äthiopien zu berichten.

Die Tage vor dem Abflug sind immer ziemlich hektisch. Da kam vorgestern noch ein Paket mit Solartechnik. Wird natürlich dringend gebraucht und einige unserer Partner hatten letzten September an einem Ausbildungskurs teilgenommen. Jetzt kam für sie Nachschub. Problem: Das Solarpanel misst 48x46 cm. Wie bekomm\\\\' ich das denn in den Rucksack? Auch die Reisetasche, die ich für alle Fälle schon bereithielt, schien zu klein. Aber ohne Panel kein "Homesystem" - und sowas bedeutet bei den ständigen Stromabschaltungen zuverlässig Licht, Laptop, Handyaufladen etc. Das muß also mit.

Aber, siehe da, Taschen haben manchmal die Eigenschaft sich zu dehnen. Irgendwie gings auf einmal doch rein, auch wenn jetzt die Form der Tasche nicht mehr so leicht wiederzuerkennen ist. Hauptsache das Ding ist drin. Darunter noch die beiden Solarpanel für die Lampen. Von einem LHL-Solar-Projekt in Nigeria wird auf folgenden Internetseiten berichtet: www.nigeria.l-h-l.org und www.aktuell.solarenergie-fuer-afrika.de. Wir hoffen demnächst ein ähnliches Projekt auch für den Ostkongo durchführen zu können.

In den letzten Tagen hatten wir noch eine breitere Diskussion zum Alt-Batterie-Problem. Wer das Kongo-Reisetagebuch im August letzten Jahres gelesen hat, wird sich erinnern, daß das "Alt-Batterien-Problem" fast wie ein roter Faden durch viele Gespräch ging, von denen ich berichten konnte.

Vor ein paar Tagen hat Antonios aus Uvira uns folgendes Foto geschickt: 

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Was wir da am 15. August 2011 diskutierten (www.jugendserver-niedersachsen.de/index.php)ist also nicht folgenlos geblieben. Grundschulkinder in Uvira am Tanganjikasee sammeln für ein paar Bonbons unzählige alte Batterien, die überall vor sich hinrosten - und werden natürlich auch angeleitet, sich anschließend die Hände zu waschen.

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Doch was nun? Und das war der Grund für die Hektik. Was wir versuchten herauszufinden war, ob schon irgendwo in Afrika ein Recyclingprojekt für solche Batterien existiert. Aber möglicherweise, so unsere Schlüsse, ist das vorerst Fehlanzeige. Also: Überall auf dem afrikanischen Kontinent massenhaft Batterieeinsatz in Radios, Taschenlampen und und und - aber keinerlei Recycling. Was oft gemacht wird zur "Entsorgung" ist ja im letzten Reisetagebuch zu lesen. Zuletzt kamen wir auf eine Hamburger Stiftung, die sich um das Recycling von Batterien in Deutschland kümmert - oder per Gesetz kümmern muß. Aber sie sind natürlich leider nur für Deutschland zuständig.

Tja, wie weiter? Das ist die große Frage? Wir brauchen neue Ideen... Vielleicht sucht Ihr, liebe Leserin, lieber Leser des Jugendservers mal im Internet, ob sich schon ein solches Projekt findet...

Immerhin stecken Batterien voller "urbaner Rohstoffe", die aufgrund steigender Rohstoffpreise immer wertvoller werden. Die Fachzeitschrift für Entwicklungshilfe "weltsichten" spricht bereits von "Schätzen im Schrott" -  Sekundärrohstoffe aus „urbanen Minen“ würden immer wichtiger, ist da im Dezemberheft 2011 zu lesen.  http://www.welt-sichten.org/artikel/art-12-011-01-012/schaetze-im-schrott.html. Aber wie installieren wir Batterie-Recycling im "Herzen Afrikas"? Eine von vielen Fragen, die uns begleiten, wenn wir aus der wohlgeordneten Welt der Industriegesellschaften im Norden in die agrarisch geprägte tropische Welt reisen, wo viele Menschen "von der Hand in den Mund" leben.

Die Tropen sind anders, ganz anders. Natürlich, dicke Pullover kann ich zu Hause lassen. Aber ich komme eben in eine Agrargesellschaft. Fast alle Nahrungsmittel auf dem Tisch sind unmittelbar vor der Haustür oder in der Region erzeugt worden. 

Weite Bereiche Niedersachsen sind ja auch angeblich eine Agrargesellschaft. Aber der Unterschied zu einer "richtigen" Agrargesellschaft, wo fast alle Menschen von der Landwirtschaft leben, ist riesig. In Niedersachsen wird Landwirtschaft oft im industriellen Rahmen organisiert - und gut daran verdient, weil Menschen in großen Städten beliefert werden. In Afrika ist sie "Subsistenzwirtschaft", man produziert für den eigenen Bedarf und kann nur ab und zu auch etwas verkaufen. Ich habe mal einen Freund gefragt, der beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Katastrophenhilfe organisierte, ob er denn bei Bauern im Kongo einkaufe und er antwortete mir, er wolle gerne, aber sie seien auf die großen Mengen, die er benötige, nicht eingerichtet. Fast überall in Afrika sei man darauf nicht eingerichtet.... So werden in Gebieten, wo Menschen hungern, Nahrungsmittel aus den Industrieländern verteilt und die heimische Landwirtschaft, die evtl. hundert oder zweihundert Kilometer weiter weg vielleicht gute Ernten hat, bleibt darauf sitzen.

Bei Lernen-Helfen-Leben e.V. sind im Moment einige Mitglieder ganz begeistert von dem Angebot der Leute von www.einfaelle-statt-abfaelle.de , welche demnächst mal ein Seminar über Hühnerhaltung irgendwo auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein anbieten und wenn\\\\'s gut läuft, wollen sie im März sowas auch speziell für Kinder und Jugendliche machen.

Kinder im Kongo wachsen überall, in der Stadt und auf dem Land mit Hühnern und Ziegen auf. Manchmal hat\\\\'s auch Schweinevieh und oben auf den Bergen stehen Rinder. In Flüssen und Teichen hat\\\\'s Unmengen an Fischen und wenn - tief im Regenwald - mal eine riesige Pythonschlange erlegt wird, dann hat das ganze Dorf genug zu Essen. Im Kochtopf gelten sie als Delikatesse. In der Wildnis sollte man ihnen besser nicht begegnen. Im Ostkongo hat\\\\'s nur wenig Wald und deshalb keine Pythonschlangen. Wir fördern ja Aufforstungsprojekte und holzsparende Öfen, damit die Restwälder besser geschützt bleiben.

Bei der jetzt anstehenden Reise soll u.a. in Burhinyi auch die Gründung einer Genossenschaft weiter beraten werden. Die geplanten Ziegeleien in verschiedenen Ortschaften haben gerade diese Woche ihre "große" Fortbildung und können danach richtig loslegen. Wir hatten für fünf verschiedene Organisationen im Kongo (auch im Westen) Ziegelpressen gekauft, mit denen man Dachziegel, Bodenplatten und ganz normale Ziegelsteine herstellen kann, die dauerhaft haltbarer sind als die bisher "selbstgemachten" (und oft nur in der Sonne getrockneten), wie auf diesem Bild zu sehen ist.

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In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich Euch wieder einiges aus der tropischen Welt des Kongos erzählen. Wir werden aus dem deutschen Winter (der sich diesmal gar nicht so richtig blicken ließ bisher) an den sommerlich heißen Tanganjikasee kommen und erstmal 40 Grad im Schatten zu verkraften haben. "Wir", das sind Henriette und ich. Henriette ist eine Försterin (im vorigen Jahr war ihr Kollege Philipp mitgefahren) und soll sich die Arbeit bei den Aufforstungen anschauen und dann - das hoffe ich sehr - den Partnern dort fachkundigen Rat in Sachen "Forstwirtschaft" geben. Denn sowas ist im Ostkongo fast unbekannt. Eine Forstverwaltung hat\\\\'s höchstens für den Kahuzie-Biega-Nationalpark, wo einige Gruppen der letzten Gorillas zu Hause sind und der deswegen UNESCO-Weltkulturerbe ist ( whc.unesco.org/en/list/137) , aber im übrigen Land sind solche Kenntnisse unbekannt. Und Aufforstung ohne forstwirtschaftliche Fachkenntnisse ist auf Dauer nicht ausreichend. Wenn der Urwald einmal abgeholzt ist, wächst günstigenfalls ein "Sekundärwald" heran, den Menschen "bewirtschaften" - so ist das z.B. in Mitteleuropa. Und ein solcher tropischer Wald braucht auch seine Pflege. So werden wir in den nächsten vier Wochen genug Themen mit den kongolesischen Partnern zu beraten haben und ab und zu kann hier im Jugendserver hoffentlich darüber berichtet werden.  

 

1.1.1 Freitag, 27. Januar 2012

Trotz „Ohropax“ habe ich beim Nachtflug nach Addis diesmal fast keine Auge zugetan. Morgens um 6.30 Uhr Lokalzeit (4.30 Uhr deutsche Zeit) sitzen wir schon im Transitbereich des Bole-Flughafens von Addis Abeba bei einem „Continental Frühstück“ und warten auf den Anschluß-Flug. Hätte ich doch nur nach einem äthiopischen Frühstück gefragt. Jetzt kam Toastbrot, etwas Margarine, etwas Marmelade und ein Mokka als Kaffee. Dabei hätten sie mit Sicherheit das wohlschmeckende äthiopische Fladenbrot gehabt. 

Aber ich bin halt noch nicht richtig angekommen. Um 9 Uhr war dann „Einchecken“ für den Weiterflug. Unser Ziel fanden wir allerdings nicht auf der Anzeigetafel, dafür unsere Flugnummer. Und der Flug sollte nach Nairobi-Kilimandscharo gehen. Wir wollten aber nach Bujumbura. Prompt wurden wir aussortiert und standen erstmal verloren rum, bis ein Kleinbus kam und uns zum „richtigen“ Flugzeug brachte – und dort hörten wir, dies gehe erstmal nach Mombasa an den Indischen Ozean, also Südosten – und von dort weiter nach Bujumbura in Burundi, also Südwesten. Also stand uns ein Ostafrika-Rundflug bevor. Mombasa ist der Haupthafen Kenias, aber die Container gehen bis nach Uganda und in den Ostkongo.

Wir flogen dann über eine zwar erhabene, aber völlig ausgetrocknete Steppenlandschaft. Hin und wieder ein Dorf und viele, viele ausgetrocknete Flusstäler. Ostafrika ist dürregeplagt – und jetzt ist gerade Trockenzeit nördlich des Äquators, auch wenn in der Regenzeit manches nochmal grün wird. Weite Landschaften hatten, das war auch klar zu sehen, erhebliche Erosionsschäden, d.h. der Regen hat im Laufe der Jahre den Mutterboden fortgewaschen und übrig geblieben ist  eine darunterliegende unfruchtbare rötliche Erde. Doch je näher wir zum Indischen Ozean kamen, umso grüner wurde alles – hier waren wir schon südlich des Äquators – und vor allem gab\\\\'s dann auch immer wieder größere Waldflächen zu sehen. In Mombasa schlug uns an der Gangway eine feucht-heisse tropische Luft entgegen. Doch die Stewardess rief uns zurück: „Bitte stellen Sie sich nicht auf die Gangway, das könnte Probleme bringen.“ Ach so, im Flugzeug waren wir „exterritorial“, für das Betreten der Gangway dagegen hätten wir ein kenianisches Visum benötigt. Das leuchtet ein und das benötigten wir vorerst nicht. In Bujumbura zwei Stunden später benötigten wir allerdings ein Visum. Der Flug ging noch über die tansanische Steppe – den Kilimandscharo haben wir irgendwie verpasst, vermutlich weil wir nach Schnee Ausschau hielten und bei den vielen hohen Bergen nirgends sahen. Aber man hörte ja schon, daß wegen Klimawandel der einstige Gletscher auf dem höchsten Berg Afrikas, dem Kilimandscharo verschwunden sei. Dafür war der größte See Afrikas, der Viktoriasee in seiner ganzen Fülle zu sehen, d.h. Henriette sah ihn und staunte, ich sass auf der anderen Seite, um mir die Steppen Tansanias anzuschauen. Doch dann kam Burundi und hüllte sich in Wolken bis zur Landung. 

Die Visaerteilung in Bujumbura ging flott, weil wir die ersten waren, die rauskonnten. Draußen wurden wir schon erwartet und fuhren erstmal zu Pater Benno von einer katholischen Missionsstation. Wir sind schon länger mit ihm im Gespräch über eine Zusammenarbeit im Solarbereich – und heute konnte Pater Benno uns eine interessante Projektkooperation ankündigen, bei der wir dann Leute aus verschiedenen Regionen des Kongos nach Bujumbura zur Ausbildung in Solartechnik einladen können – wenn alles bewilligt wird. Manches geht halt über kirchliche Einrichtungen einfacher.

Dann fahren wir zur Grenze, holen uns nochmal einen burundischen Stempel und werden auf der anderen Seite für den Kongo registriert. Um die Fremden kümmert sich im Kongo der DGM, wie in vielen francophonen Ländern muß man überall registriert sein. Gefragt wird sogar nach den Namen von Vater und Mutter. Ok, ich pflege die Gräber meiner inzwischen verstorbenen Eltern und freue mich immer wieder, daß wenigstens die kongolesischen Behörden sich für ihre Namen interessieren.  Dummerweise bricht dann die erstaunlich moderne Computerkommunikation bei der kongolesischen Grenzstelle zusammen und wir müssen auf den Chef warten, der hoffentlich weiter weiß. So beginnt das Warten im Kongo, was eigentlich ein Thema für sich ist. Schließlich bekamen wir auch dort unsere Stempel und jetzt hat heftiger Regen eingesetzt und wir kommen recht durchnässt zum Auto. Dann kommt noch der Zoll an und schaut durch die Fensterscheiben, ob wir vielleicht eine fette Beute sind, aber da lage

n halt nur zwei Rucksäcke und eine alte Reisetasche. Wir wurden von den Damen, ja, für sowas sind im Kongo offenbar eher die Damen zuständig, glücklicherweise durchgewunken. Fünf Uhr war schon vorüber und in einer Stunde wird’s dunkel.  

Das Hotel hat im dritten Stock rundrum Terrassen und eine wundervolle Aussicht auf den Tanganjikasee – und auf der anderen Seite auf die hohen – weitgehend kahlen – Berge, hinter denen allerdings der ziemlich unberührte Itombwe-Regenwald liegt, der hoffentlich noch für lange Zeit unberührt, weil verkehrsmäßig nicht erschlossen, bleibt. 

Der einzige Nachteil des Platzes ist nicht dem Hotel anzulasten, sondern der Nachbarschaft, halt mitten in der Stadt. Uvira schläft nicht, Lärm die ganze Nacht, ob mit Autos, mit Discotheken, mit Lautsprecher oder was weiß ich. Wir sind todmüde, stopfen uns wieder Ohropax in die Ohren und jeder von uns ist bald im Tiefschlaf, nach einer Reise, die ingesamt gut 24 Stunden gedauert hat. 

 

1.1.2 Samstag, 28. Januar 2012

 

Heute Morgen höre ich, wir müßten den lokalen DGM begrüßen. Auch das noch. Das ist wohl neu. Stattdessen kamen die Herren vorbei, interessierten sich für unseren Paß und fanden auf einmal, daß die kongolesische Botschaft in Berlin offenbar etwas falsch gemacht habe. Ach so. Das habe irgendwie etwas mit der Reisedauer zu tun. Das Visum sei einen Monat gültig, war aber schon zwei Wochen vor unserer Einreise ausgestellt worden. Damit kamen sie nicht zurecht und zu allem Überfluß stand an anderer Stelle auch noch, man könne vom Ausstellungstag an innerhalb von drei Monaten in den Kongo reisen. Das war für die lokale DGM zuviel. Ich legte los und sagte, die kongolesische Botschafterin in Berlin habe jahrelang im Außenministerium in Kinshasa gearbeitet und wisse wohl, wie man ein Visum auszustellen habe. Dann wollten sie auch ein  Formular ausgefüllt haben, das wir schon an der Grenze, für die Botschaft und im Hotel ausgefüllt hatten, immer mit der Frage nach den Namen von Papa und Mama. Und ein Paßbild sollten wir jetzt auch noch abgeben. Aber das sei doch im  Paß. Dann müsse der eben fotokopiert werden. Glücklicherweise kamen jetzt unsere Projektpartner, zwei gestandene Mitglieder der örtlichen Zivilgesellschaft. Nullkommanix hatten sie die Situation erfasst, knöpften sich die beiden Herrschaften vor und lasen ihnen die Leviten. Das hätte ich am liebsten gefilmt. Die wurden ganz klein und uns gegenüber dann freundlich. Ihre Aufgabe sei ja, uns zu beschützen. Dann zogen sie ab – sogar ohne Paßbild. 

Später trafen wir noch einen belgischen Ausbilder, der für uns gerade eine Woche lang die Leute für die Ziegelpressen in Burhinyi fit gemacht hatte. Und der hatte auch solch eine Geschichte auf Lager. Sein Reisepass war voll, d.h. im alten hatte die kongolesische Botschaft in Brüssel gerade noch das Visum reingeklebt und dann hatte er schon einen neuen, in den dann hätte gestempelt werden müssen. Aber das war für die DGM zu hoch. Sie verlangten doch tatsächlich nochmal die Bezahlung der gesamten Visagebühr, damit im neuen Paß auch solch ein Visum reingeklebt werden konnte. Die Brüsseler Botschaft wird jetzt Besuch bekommen zwecks Reklamation und mir dämmerte, daß unsere Freunde von der Zivilgesellschaft uns möglicherweise vor ähnlichen Geldforderungen gerade noch geschützt haben.

Der Gerechtigkeit halber muß ich aber sagen, daß zumindest für mich bisher solche Begegnungen die Ausnahme sind. Vor allem die Grenzbeamten sind meist außerordentlich freundlich und zuvorkommend.

 

1.1.3 Sonntag, 29. Januar 2012

Heute ist Sonntag und ich laufe in der Frühe erstmal den Tanganjikasee entlang. Obwohl 6.30 Uhr ist da überall schon emsiges Leben. Viele erledigen ihre Morgenbad im glasklaren See, andere waschen ihre Wäsche und zwar nicht nur die Mamas für den Rest der Familie, ich sah die 12, 13, 14jährigen Jungs, wie sie ihre Jeans schrubbten und wuschen und lachten. Sicherlich, im Kongo sind viele Menschen religiös und gehen sonntags zur Kirche, aber auch manche alltäglichen Arbeiten müssen erledigt werden, so eben auch die Morgentoilette oder Wäschewaschen, wozu die Schulkinder während der Woche nicht kommen, denn Schulunterricht ist von montags bis samstags. Leider wird der einst saubere Strand nach wie vor immer mehr zur Müllhalde – ich hatte im vorigen Jahr schon darüber berichtet. Heute sah ich Kleinkinder, wie sie die Plasticstreifen aus dem Sand zogen, zu prüfen, ob man damit spielen könne. Originellerweise sind die Hütten, ein paar Meter weiter blitzblank geputzt und zu dieser frühen Stunde sieht man oft, wie auch noch vor der eigenen Haustüre im wahrsten Sinne des Wortes mit Reisigzweigen gefegt wird. 

Was also nicht funktioniert ist der Bereich der öffentlichen Dienste und das ist auch gar kein Wunder, denn bis heute sind keine kommunalen Vertreter demokratisch erwählt, sondern von der Regierung ernannt. Weshalb sollen sie sich also für die Belange der Bevölkerung einsetzen, solange sie die Belange der Regierung erfüllen?

Aber jetzt mal etwas Erfreulicheres. Chris, unser Fahrer, der den belgischen Ausbilder gestern Abend aus Bukavu mitgebrachte, war die gesamte Woche bei der Ausbildung zur Bedienung der mechanischen Ziegelpressen dabei gewesen und hatte uns schon zwei Ergebnisse mitgebracht: einen Ziegelstein und eine Bodenplatte. Als ich frühstückte waren die beiden  schon rüber nach Bujumbura gefahren, aber für die anderen Gäste waren diese ersten Produkte der Ziegelpresse heute morgen die absolute Attraktion. Solche stabilen Ziegelsteine hätten sie ja hier noch nie gesehen. Und erst die Bodenplatten! Für solch eine Qualität – und man zeigte auf den Boden der Hotelterrasse habe man bisher bis nach Kampala, der Hauptstadt Ugandas, fahren müssen um sie zu finden. Die beiden Beweisstücke der Ausbildung wurden herumgereicht und schnell kam der Wunsch auf, auch für Uvira müsste solch eine Ziegelpresse angeschafft werden. Und dann waren sie auch noch ohne Brennen und ohne den teuren Zement hergestellt worden, nur mit Lehm oder Ton. Und Dachziegel könne man auch auf diese Weise herstellen. 

Zu den Gästen gehörte zufällig auch ein Reporter des lokalen Radios und Fernsehens, der am liebsten sofort ein Interview dazu gemacht hätte, aber leider seine Technik nicht dabei hatte. Aber er hat sich Telefonnummern aufgeschrieben. Sowar gehört hier gesendet! Welch eine Sensation!

Der Tag wurde heiß und heisser und Chris kam und kam nicht aus Bujumbura zurück. Wir übten uns mal wieder im Warten. Wir wollten heute noch nach Bukavu fahren und hatten uns für 4 Uhr angekündigt. Schließlich gegen ½ 2 Uhr war es soweit und wir brausten los mit seinem Jeep. Die Straße bis Kamanyola ist geteert – eine Seltenheit im Kongo und manchmal kann man bis 100 km/h aufdrehen. Da freut sich das Herz des kongolesischen Autofahrers, der oft mit 30 oder höchstens 40 km/h vorlieb nehmen muß wegen der schlechten Straßenverhältnisse allüberall. 

Wir achten mal wieder besonders auf die Bäume am Straßenrand und wie immer sind wir entsetzt über die vielen Eukalyptuspflanzungen. Dieser  Baum verbraucht ganz viel (Grund)Wasser und sollte eigentlich nicht in eine ohnehin schon trockene Gegend gepflanzt werden. Aber im gesamten Kivu sieht man sehr häufig solche Pflanzungen. Schreiner können mit dem Holz einiges anfangen (und inzwischen finden sich ja auch in deutschen Baumärkten Billigmöbel aus Eukalyptusholz) und wo das Feuerholz herkommt ist den Frauen meist egal.

In Kamanyola endet für den Kongo die geteerte Straße. Auf kongolesischer Seite müßte man stundenlang über eine extrem steinige Straße mit Serpentinen hochfahren, um die 1.000 Meter zu überwinden nach Bukavu und dann nochmal so 200 Meter wieder runterfahren auf das Niveau des Kivusees, der 800 Meter höher als der Tanganjikasee liegt. Wir benutzen die ruandische Seite, müssen also nochmal die Pässe abstempeln lassen, in Kamanyola und eine halbe Stunde später in Ruzizi bei Bukavu – so schnell geht nämlich die Fahrt in Ruanda über eine gut ausgebaute Straße – die auch noch professionell gegen Erosion befestigt ist, mit Setariagras, Trypsacum(gras), mit Bambus und vielen anderen Baumarten. Und dann wieder das pitoreske Bild, das mir immer in Ruanda auffällt und was die Kongolesen so nicht kennen: Vor den Wohnhäusern gibt’s fast überall hübsche kleine Vorgärten mit Blumen. Ob da die ehemalige deutsche Kolonialzeit nochwas hinterlassen hat?

Hier in Bukavu ist wegen des Sonntags alles etwas ruhiger, aber trotzdem wird an jeder Ecke gehandelt und Märkte sind geöffnet. Aber immerhin, der Straßenverkehr ist ruhig, im Vergleich zu Wochentagen wenn auch die Provinzhauptstadt des Südkivus regelmäßig durch Staus geplagt ist. Und nochwas fällt auf den ersten Blick auf. Hatten nicht die Chinesen ein paar Straßen geteert? Und jetzt beginnen da nach ein oder zwei Jahren doch schon die ersten Schlaglöcher sich breit zu machen? Was ist denn das? Manche Straßen von der belgische Zeit sind 50 Jahre und älter, haben zwar inzwischen viele Schlaglöcher, zeigen aber aber vielen Stellen immer noch, was einmal Qualitätsarbeit war. Also sowas. Damit machen sich die Chinesen bestimmt nicht beliebt. Das ist ja genauso wie mit der Technik, die sie nach Afrika liefern. Alles sieht genauso modern und schön aus wie bei uns in Deutschland im Baumarkt. Nur wundert man sich, daß in Afrika nach ein paar Wochen fast jeder neu Wasserhahn tropft, Türgriff abbricht oder was auch immer. Das Material ist grottenschlecht. Nach Afrika kann man das ja schicken. Materialprüfung ist (noch) unbekannt. 

Nebenbeibemerkt: Bei Lernen-Helfen-Leben diskutieren wir, genau dies zu ändern und solches „Know-how“ in unseren Projekten zu vermitteln. Denn wir hätten genau den gleichen Schrott in unseren Geschäften, hätten nicht die großen Handelsketten Abteilungen für Materialprüfung. Ausschuß lehnen diese ab, der wird dann offenbar gleich nach Afrika verschifft.

Jetzt muß ich vorerst aufhören. Am Montag wollen wir schon rausfahren aufs Land. Da ist nichts mit Internet. Wir sind frühestens am nächsten Wochenende zurück. Dann geht’s weiter mit einer Fortsetzung des Kongo-Reisetagebuchs 2012.

1.1.4 Mushenyi, 31. Januar 2012

Diese Zeilen schreibe ich im Schein einer Kerze. Wir sind in Mushenyi und unser Quartier hat keinen Strom, nur einige wenige Häuser und das Krankenhaus haben Solarpanel. Für die meisten Menschen hier bleiben also die Abende dunkel. Kein Fernsehen, vielleicht noch Radio mit einem Transistorapparat. Und Licht mit einer Kerze oder einer Petroleumlampe. Und solch eine steht auch beim Abendessen auf dem Tisch. Vor dem Essen wird eine Waschschüssel gereicht mit Seife und Handtuch. Jeder wäscht sich die Hände – denn gegessen wird traditionell mit den Händen, nicht mit Messer und Gabel. Heute gabs Oguli, wie Fufu auf Kisuaheli heißt, das Nationalgericht zubereitet aus Maniok- und Maisgries. Dann Amarand- und Kohlgemüse, Reis, Hähnchenfleisch (das Hähnchen lief heute früh noch putzmunter auf dem Hof rum) und zum Nachtisch köstliche Bananen. Dazu für alle „Primus“, das kongolesische Bier, dessen Brauerei in Bukavu im Zuge der Globalsieriung inzwischen vom holländischen Heineken-Konzern einverleibt worden ist. Gestern morgen hatte uns Chris  bei unserem Quartier abgeholt und wir brauchten über eine Stunde, um überhaupt erstmal aus der Millionenstadt Bukavu rauszukommen – nicht nur, weil die Straßen so schlecht sind, sondern weil überall Verkehrsstau war. Seit ungefähr zwei Jahren hat sich die Zahl der Autos in der Provinzhauptstadt mindestens verdoppelt. Endlich waren wir draußen auf dem Land, hoch oben über dem Ruzizital, fuhren also in südlicher Richtung. Der Wagen rumpelte zunächst entlang von Bananenstauden und Eukalyptusplantagen. Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs und tragen Lasten auf ihrem Kopf entweder in die Stadt, dann sind das meist Früchte des Feldes – oder zurück aufs Dorf, dann sind das Gegenstände für den täglichen Bedarf, die man in der Stadt gekauft hat – und zwar mit dem Geld, das man vielleicht mit dem Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte, die man auf den Markt trug, eingenommen hat. 

Später ändert sich die Landschaft, wir fahren in ein weites, fruchtbares Tal, das am Ende der Ebene steil hinaufgeht, entsprechend die Straße, die sich in Serpentinen hochwindet, nebenan der Abhang wird steil und steiler und immer tiefer. Man mag gar nicht runterschauen. Ab und zu ein Baum, ansonsten kein Mäuerchen oder gar ein Zaun. Glücklicherweise kommt Chris, unser Fahrer aus Kaziba und kennt jede Kurve und jeden Winkel. Souverän führt er den Wagen die Windungen hinauf und wir müssen nicht fürchten, unten im Tal zu landen. Unterwegs erzählt er uns, von den Älteren wisse man noch, daß früher all die hohen Berge rundrum bewaldet gewesen seien. Der letzte „Aderlass“ der Abholzung seien Millionen ruandische Flüchtlinge gewesen, die 1994 auch in dieses Tag kamen und dann alle mit Holz kochen mußten. Endlich enden die Windungen und wir sind auf einer – sagen wir mal – lieblichen und wieder sehr fruchtbaren Hochebene angelangt und zwar zunächst im Gebiet von Mushenyi, später folgen dann noch Kaziba und Luhwindja. Kein Wunder, daß hier viele Menschen siedeln. Bald sind wir auch schon bei den „Hangars“ der neuen Ziegelei angelangt, die gestern ihre Arbeit aufgenommen hat, nachdem vorige Woche die Ausbildung in Burhinyi war. Die Arbeiter haben noch viele Zuschauerinnen und Zuschauer aus der Nachbarschaft, denn solch ein Gerät ist eine Sensation – und dann erst die abgemessenen Ziegel, die das rauskommen. Ob das wirklich alles Männerarbeit ist? Die Frauen fragen Henriette, ob sie denn auch solch eine Arbeit mache – und sie läßt sich sowas nicht zweimal sagen, nimmt den Lehm in ihre Hände und füllt die Formen und betätigt dann die mechanische Ziegelpresse – und kann dann die Begeisterung und den Jubel – nun ja, vor allem der umstehenden Frauen ernten. Vielleicht ist der Bann gebrochen und die Ziegelei muß demnächst auch Frauen für diese Arbeit anstellen. Der Beifall kennt keine Grenzen und deshalb muß alles nochmal wiederholt werden. Jawohl, die deutsche Frau schafft das und ist sich nicht zu schade, die Hände schmutzig zu machen. 

Kurz später kommen wir dann auch in unserem Quartier an, aber die Hausfrau hatte eigentlich erst am nächsten Tag mit uns gerechnet und hat noch nichts zum Abendessen für die hungrigen Gäste vorbereitet. So tröstet sie uns erstmal mit „Primus“ und zaubert dann noch ein köstliches Abendessen auf den Tisch, mit den Resten, die sie noch vorrätig hat. 

Heute morgen gabs dann um ½ 8 Uhr Frühstück, wie überall im Kongo für die Muzungus ein gebackenes Ei un ein paar Mini-Baguettes. Dazu Nescafé, Trockenmilch und Rohrzucker. Danach fahren wir zum Büro unserer Partnerorganisation CDEP, welche die Ziegelei betreibt und auch die Aufforstung leistet. Schon unterwegs treffen wir auf ein paar Kinder und da ist auch Nesco dabei, unser „Gitarrenspieler“ vom vorigen Jahr. Wir begrüßen uns und er darf noch mit in den Jeep klettern, wo er dann stolz die letzten Kilometer mit uns zurücklegt. Später erfahre ich, daß er noch drei Geschwister hat, die Mutter aber Witwe ist. Nesco war dann ganz scharf darauf, unsere leeren Plasticflaschen zu bekommen. Wir sahen auch noch,  als er sie seiner Mutter übergab, wie wertvolle Schätze und als ich sie daraufhin persönlich begrüssen wollte, ließ sie alle vor Schreck fallen und kam sofort angelaufen. Sie muß noch sehr jung sein und man sah dem Jungen an, daß sie nur wenig hatten. Die Hose war schon lange aufgerissen, genau dieselbe, die er im vorigen Jahr getragen hatte und dem Hemd fehlten die Knöpfe. Stattdessen hatte er dies kunstfertig mit Grashalmen „zugeknöpft“. Kurz vorher waren wir wieder vom Gesang des „Waldkindergartens Marafiki wa Mazingira Mushenyi“ begrüßt worden. Auch viele Mitglieder der Partnerorganisation waren zur Begrüssung gekommen und während Henriette, Antonios und einige Baumschulgärtner sich sogleich auf dem Weg zu den Aufforstungsflächen machten, hatte ich Gelegenheit mit ihnen zu sprechen. Wir erläuterten ihnen, weshalb wir gekommen waren und daß wir am Ende der Woche nochmal alle zu einer Versammlung einladen wollten. 

1.1.5 Mittwoch, 1. Februar 2012

Nach dem Frühstück rumpelt unser Jeep wieder über die steinigen Straßen los, diesmal über Kaziba nach Luhwinja und dort in Serpentinen hoch, nochmal atemberaubenden Abhängen entlang bis auf rund 2.200 Meter, um dort einige aufgeforstete Flächen zu begutachten. Zunächst liefen wir duch einen Pinuswald, der durch ein Projekt von Dialog International in Deutschland schon vor über 10 Jahren aufgeforstet werden konnte und jetzt reichlich Schatten spendet, ja, darunter konnte sogar eine Quelle zu einem Brunnen gefasst werden. Später sehen wir uns die neuere Pflanzung an einem Steilhang an, der extrem durch Erosion bedroht ist, wo aber die Pflänzchen gut gedeihen. Weiter oben im Tal ein Wasserfall, unten der Bach und gegenüber sind wir über beträchtliche Erosionsschäden entsetzt. Aber nebenan, etwas weiter höher gabs auch eine solche Stelle, die der benachbarte Bauer – hier oben gibt’s vereinzelte kleine Rundhütten-Höfe – geschickt bepflanzt hatte, auch mit einheimischen Bäumchen. Einer davon war so gut angegangen, daß er sich schon ausgesamt hatte und rundrum im Erosionsloch schon unzählinge Setzlinge zu sehen waren. Wir kamen auf die Idee, einige auszugraben und auf den danebenliegenden kahlen Hang zu pflanzen. Wenn sie angehen, muß nichts aus Baumschulen herbeigeschleppt werden, man braucht nur die Setzlinge von nebenan umzupflanzen. Später sahen wir, daß dieser einheimische Baum noch an vielen Stellen ausgesamt hatte. Diese Keimlinge müssen nur umgepflanzt werden. Auf dem Rückweg fanden wir dann sogar noch ein ganz kleines Stück Urwald in Form eines „heiligen Hains“, den die Bevölkerung nicht antastet. Welche eine gute Idee! Wir durften durch das Dickicht laufen und fühlten uns wie verzaubert, zumal mit einem Mal auch eine reiche Vogelwelt ihr Konzert gab. Wir sahen Pflanzen, die rundrum fast überall verschwunden waren oder nur ganz vereinzelt vorkamen. 

1.1.6 Donnerstag, 2. Februar 2012

Beim Frühstück erzählt Henriette von einer SMS aus Deutschland und so erfahren wir, daß Ihr bei 10 Grad minus bibbern müßt. Ich hatte mir dagegen gestern in Luhwinja einen Sonnenbrand geholt, weil ich die Sonnenschutzcreme vergessen hatte. Hier ist, wie immer, Sommer. Daran ändert kein Monat des Jahres etwas, außer der Wechsel von Trocken- und Regenzeit. Derzeit sind wir in der Regenzeit, dieser fällt aber zu unserem Glück hauptsächlich des Nachts. Mit den ersten Sonnenstrahlen am Morgen trocknet alles schnell wieder aus. Wir wollen heute in Kaziba einen Berg besteigen und gepflanzte Bäume begutachten. Die steile Fläche ist mit einem Mischwald bepflanzt und wir sind sehr zufrieden. Ich laufe etwas früher zurück, unten im Tal durch Gärten und Felder und warte in Kaziba auf den Fahrer Chris, der etwas Sorge mit einem Moskitostich hatte und sich bei einem Arzt Medikamente holen wollte. „Warten im Kongo“ ist überall schon etwas Besonderes. Heute bin ich in Kaziba sozusagen das „8. Weltwunder“. Vor allem Kinder und Jugendliche kommen angelaufen und schauen mich an als ob ich gerade von einem anderen Stern gekommen sei. Sie merken schnell, dass sie weder mit Kisuaheli noch mit Französisch weiterkommen. Da kramen einige ältere Jungs, welche offenbar die Oberschule besuchen, ihre Englischkenntnisse aus und wollen erstmal wissen, was ich hier mache, weshalb ich hier warte, wo ich herkomme. Und dann kommt das obligatorische „Muzungu please give me money“. Sämtliche Hände strecken sich jetzt nach mir aus. Ich sage, mit euren Händen könnt ihr schon was machen, um Taschengeld zu verdienen, z.B. Wasser holen, Holz suchen oder der Mama im Garten helfen, was verständlicherweise auf wenig Gegenliebe stößt. Endlich kommt Chris und erlöst mich aus diesen zwar interessanten, aber auf Dauer auch unangenehmen Zusammenhängen. Später frage ich mich, was wohl die Entwicklungshelfer – und andere Muzungus kommen nicht in diese Gegend – falsch machen, wenn hier so viele Kinder und ältere Menschen vor allem beim Anblick eines Weißen fast reflexartig die Hand ausstrecken und nach Geld betteln. 

1.1.7 Freitag, 3. Februar 2012

Letzte Nacht wachte ich plötzlich auf und – sssss – ein Moskito hatte mich mitten auf den Kopf gestochen. Wir haben hier keine Moskitonetze und bei den bisherigen Besuchen im relativ kühlen Mushenyi waren Moskitos eher die Ausnahme. Aber diesmal musste ich mit Zeitung und Taschenlampe bewaffnet auf Moskitojagd gehen. Diesmal hatte ich Glück, das Biest hatte mir schon soviel Blut abgezapft, dass es recht träge geworden war und – platsch – hatte ich einen Blutfleck auf der Zeitung. 

Am frühen Morgen waren Moskitos und die Nacht vergessen. Aus der nahen Kirche kam Trommelklang und Gesang rüber, die Vögel zwitscherten und wir saßen wieder auf der Terrasse beim Frühstück. Heute stand in Mushenyi eine Volksversammlung auf dem Programm. Wir machen uns nach dem Frühstück auf den Weg zum Zentrum unserer Projektpartner. Dort versammeln sich heute Vormittag rund 50 Männer und Frauen, darunter einige Chiefs, der Partner, einige Lehrer, die Baumschulgaertner usw. Wir ziehen Bilanz der Aufforstung der letzten Jahre. Hunderttausende von Bäumchen wurden gepflanzt. Zu Beginn hatten die verschiedenen Gruppen schriftliche Versprechungen abgegeben. Wir lesen diese heute vor, mit den Namen, fragen, wer von den Unterzeichnern da ist und ob die Versprechen erfüllt wurden: Von den Baumschulgärtnern; den Ofenbauleuten, den Bauern; den Frauen; den Chiefs und den Projektleitern. Sie alle bekommen viel Beifall und unseren Dank. Eine Ausnahme gab’s. Diese betraf einen Projektleiter, den wir vor 2 Jahren entlassen mussten. 

Dann sprach Henriette über „Forstmanagement“ und dabei stellte sich heraus, dass hier noch große Wissenslücken bestehen: Wie aufgeforstet wird, ja, das wissen jetzt die Leute von Mushenyi, aber wie man richtig abholzt, ohne den Wald zu zerstören, das muss noch geregelt werden. Am Vortag hatten wir in Luhwinja Flächen gesehen, die mal wieder komplett abgeholzt worden waren. Hier muss wieder komplett bei Null angefangen werden, will man neue Bäume pflanzen, so Henriette. Wenn dagegen einzelne Bäume rausgeholt würden, könne da wieder neugepflanzt werden – oder der Wald lasse von selbst seine eigene Saat wachsen und so bleibe der Forst erhalten. 

Wir hatten dann noch einen dritten Teil der Versammlung. Wie soll denn alles weitergehen, wenn das große Projekt bald beendet ist? Können Baumschulen bestehen bleiben? Doch stattdessen verlagerte sich die Diskussion auf ein paar andere Fragen, die offenbar unter den Nägeln brannten: Was ist mit den Viehzüchtern, denen jetzt Weidegründe verloren gehen? Wir kommen darauf, dass das beste Weideland an die Viehzüchter gegeben werden soll, Aufforstungen nur auf zweitklassigen Böden nötig seien, die z.B. steinig sind usw. Auch die Chiefs hatten einige Probleme und die Landfrage, für die sie zuständig sind, geriet in den Mittelpunkt. Vielleicht hatte Mushenyi noch nie vorher solch eine breite öffentliche Diskussion zu diesen Themen – und die Jugend schaute durch die offenen Fenster und hörte ganz aufmerksam zu, was da die Älteren verhandelten. Ergebnis war der Beschluss Chiefs, Bauern und Viehzüchter sollten sich zusammensetzen und diese Fragen so bald wie möglich einvernehmlich regeln. Und für die Zukunft finden wir schon weitere Lösungen fürs Baume pflanzen.

Anschließend waren die Chiefs und die Gäste aus Bukavu und Europa noch zu einem einfachen Mittagsmahl eingeladen, mit Produkten, welche die Felder Mushenyis hergaben, so Oguli aus Maniokgries, Kassavagemuese aus Maniokblättern, Amarandgemuese, Kartoffeln und etwas Fleisch.

Am Nachmittag saßen wir im kleinen Kreis dann wieder zusammen, um noch über ein ganz anderes Projekt zu beraten. Wir möchten gerne zumindest zwei der Ziegeleien in eine neuzugründende Stiftung einbringen, um daraus eine Schule und Jugendarbeit zu finanzieren, denn mit Ziegeln lässt sich Geld verdienen. Jetzt war das Thema: Wie funktioniert eine Stiftung? Wir sind an diesem Nachmittag noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen, mussten das aber auch nicht. In der Abgeschiedenheit des Gästehauses von Kaziba konnten wir in aller Ruhe erstmal die verschiedenen Möglichkeiten beraten. Stiftungen gibt’s noch nicht viele im Kongo.

Der Abend klang dann gemütlich mit Primusbier und fröhlichem Beisammensein aus. Trotz aller Schwierigkeiten wird im Kongo auch viel gelacht und das ist gut so, denn sonst wäre das Leben mit all seinen Entbehrungen wirklich schwer hier.

1.1.8 Samstag, 4 Februar 2012

Nach dem Frühstück fahren wir los. Heute geht’s zurück nach Bukavu. Unterwegs begegnen uns zuerst recht viele Lastwagen, insgesamt so 8 oder 9, kurz hintereinander, die alle aus Bukavu kommen, vollbepackt mit Gütern des täglichen Bedarfs und obendrauf Menschen jeden Alters, die am Wochenende ihre Familien auf dem Land besuchen oder ihre Produkte auf den Samstagsmärkten in Kaziba oder Luhwinja verkaufen wollen. Uns begegnen dann aber auch immer wieder Kühe, die von 12 oder 13jaehrigen Cowboys ganz souverän an den Straßenrand getrieben werden, damit der Jeep mit den Muzungus vorbeifahren kann. Ich denke daran, dass gestern Celestin, unser Projektleiter in Mushenyi, erzählte, wie er als kleiner Junge vom Bauernhof auch solch ein Cowboy war und aufpassen musste, dass seine Kühe nicht allzu steile Hänge hochstiegen, wo sie leicht runterfallen konnten – und genau dort wollten sie heute die Bäume pflanzen. Soweit ich das jedenfalls heute Morgen beurteilen kann, macht Cowboysein den Kindern sichtlich Spaß. 

Ganz anders sah das in Nyangezi aus, wo wir nach etwa einer Stunde Rückfahrt die Serpentinen des Ruzizitals runter, ankommen. Dort sind viele traditionelle Ziegeleien tätig, die Ziegelsteine brennen, ähnlich wie man in Meilern Holzkohle herstellt. Doch mittendrin steht jetzt unsere Ziegelpresse und da ist nun eine Ziegelei, die kein Holz zum Brennen mehr braucht und deren Ziegel eine sehr viel bessere Qualität haben. Aber Ziegel müssen auch transportiert werden. Die Kunden sitzen in der Provinzhauptstadt Bukavu. So standen dafür eine Reihe von Lastwagen bereit, die beladen werden mussten. Und was ich dann sah, verschlug mir fast die Sprache: Vor allem Kinder schleppten, eins nach dem anderen die Ziegel herbei. Die jüngsten dürften so um die 7 oder 8 Jahre alt gewesen sein und sie trugen manchmal 10 oder noch mehr Ziegelsteine auf dem Kopf zum Lastwagen, ohne dass auch nur einer runterfiel und die Mädchen hatten ein Stirnband und schleppten die Last damit haltend auf dem Rücken, so wie ihre Mütter die Lasten tragen. Ich hörte, sie seien zu arm um zur Schule zu gehen und arbeiteten jeden Tag hier. Ich muss gestehen, die Gesichter dieser armen Wesen, die solch schwere Lasten tagaus tagein bei glühender Hitze zu tragen hatten, werde ich so schnell nicht vergessen. Natürlich habe ich unseren Leuten eingeschärft, dass wir jetzt nicht eine Stiftung zum Wohle der Jugend gründen können, welche dann die Ziegel unserer Pressen - so wie diese Kinder - zu den Lastwagen schleppen. Bei unserem Projekt müsse Kinderarbeit absolut tabu sein. Die jüngsten Mitarbeiter an der Ziegelpresse sind übrigens 18 Jahre alt – und diese Tätigkeit ist wesentlich angenehmer als dies Schleppen der Ziegelsteine.

Dabei hat der Kongo die meisten völkerrechtlichen Verträge zum Schutze der Jugend unterzeichnet, aber leider kümmert sich der Staat kaum um die Einhaltung dieser Verpflichtungen. An vielen Baustellen ist Kinderarbeit zu sehen und man lässt sie vor allem die Steine schleppen…

Bei der Rückfahrt sahen wir dann aber auch mal etwas ganz anderes, das uns dann in komplettes Erstaunen versetzte: Wir sahen gleich mehrmals unterwegs Männer, die ihren Baby-Nachwuchs auf dem Rücken trugen, so wie dies sonst die Mütter in Afrika handhaben. Das ist wirklich eine kleine Sensation, denn bisher dachten wir, die kongolesischen Männer seien sich für sowas zu schade, hier ihren Frauen zu helfen.

Mittags erreichten wir dann wieder das lärmige, staubige Bukavu mit seinen Tausenden von Menschen; die alle zu Fuß und mit Lasten bepackt, vorzugsweise auf dem Kopf, entweder in die Stadt liefen oder wieder nach Hause aufs Land. Am Straßenrand ein Kleinhändler neben dem anderen sitzend oder stehend. Angeboten wird hier praktisch alles, von der Telefonkarte bis zum Toilettenpapier, Wasserflaschen; Primus, Brot, Maniok, Bananen, Avocado, Schuhe, Bekleidung, auch Nagellack für Frauen, Seife, Kochgeschirr, sogar Möbel usw. usf. Alles im Freien und wenn’s regnet werden schnell große Plastikplanen drueber ausgebreitet. 

Im Quartier angekommen, habe ich allerdings erstmal die Dusche über mich regnen lassen. Nach einer Woche auf dem Land war dies bitter nötig. Am Nachmittag kam dann noch der deutsche Pater C. mit einer Besucherin aus der Heimat vorbei und wir tranken zusammen Tee. Pater C. leitet die hiesige kirchliche Druckerei und wir kennen uns schon seit Jahren. Er lebt schon gut 40 Jahre im Kongo und spricht die lokalen Sprachen Mashi und Kisuaheli. Seine Verbindung zur Heimat hielt er bisher auch über die „Deutsche Welle“ aufrecht; deren Nachrichten er regelmaessig über Kurzwelle empfangen konnte. Aber jetzt ist er gar nicht gut auf die „Deutsche Welle“ zu sprechen, denn man hat die Kurzwellensendungen zugunsten des Internets schlicht eingestampft. Als ob man im afrikanischen Busch, wohin doch gesendet werden solle, überall Internet habe. Die Leute bei der „Deutschen Welle“ seien ganz realitätsfern, so Pater C. Jetzt muss er BBC oder Radio France International hören, um Nachrichten aus Europa zu bekommen, die etwas näher an den Bedürfnissen ihren afrikanischen Hörer geblieben sind.

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1.1.9 Sonntag, 5. Februar 2012

Pünktlich um 8.15 Uhr stehen Anatole und Antonios vor dem Haus. Wir wollen heute nochmal nach Nyangezi fahren. Anatole hat dort mit seiner Organisation eine Fläche aufgeforstet, die er uns unbedingt zeigen will. Die Straßen Bukavus sind an diesem Sonntagmorgen wohltuend leer. Fast keine Menschenseele ist hier im Zentrum unterwegs. Doch etwas weiter oben, hinter der Universität, pulsiert das Leben wie eh und je. Die Markthändler schreien, Autos hupen und Anatole sagt, wir sollten besser die Autofenster schließen, hier seien viele Diebe unterwegs. Weiter draußen im Stadtteil „Essence“ ist dann wieder der Sonntag spürbar. Viele Menschen eilen festlich gekleidet wohl in die umliegenden Kirchen. Heute sieht man hier nur wenige Leute Lasten tragen. Wir durchqueren den Stadtteil Panzi, werfen einen Blick auf die Bäume, hinter denen sich das dortige Krankenhaus verbirgt, das weltweit zu einer traurigen Berühmtheit gelangte, weil hier viele der während und nach dem Krieg in der Region von Soldaten und Milizen oft grässlich vergewaltigten Frauen behandelt wurden. Dann noch ein paar Kurven und wir sind aus der Stadt raus. Die Straße windet sich immer höher hinauf an Eukalyptus- und Bananenplantagen entlang und irgendwann geht’s dann wieder sanft runter in die Ruziz-Ebene bei Nyangezi. Dort nehmen wir diesmal die Abzweigung nach Uvira – eine Nationalstraße, die aber trotz des hochklingenden Namens keineswegs in einem besseren Zustand ist wie fast alle anderen Straßen im Kongo. Sie führt immer weiter hinauf, bei einer Höhe von weit über 2.000 Metern überqueren wir den Pass und dann geht’s wieder runter – und wenn wir weiterführen,  viele Serpentinen runter bis auf eine Höhe von 800 Metern kämen wir in Kamanyola an, dem kongolesischen Grenzstädtchen zur ruandischen Südgrenze. Die Straße führt dort bis weiter nach Uvira am Tanganyikasee, der etwa 700 Meter über Null liegt. Doch kurz hinter dem Pass sind wir heute schon am Ziel. Von dort geht der Blick weit ins östliche afrikanische Gebirgsland. Drüben, weit unten, liegt das Ruzizital mit dem Fluss, der vom Kivu- zum Tanganjikasee fließt. Dahinter ist das Gebirgsland von Ruanda zu sehen. Und ganz vorne, neben der Nationalstraße hier,  haben die Leute von Anatole ungefähr 13 ha eines teilweise recht steilen Hanges mühsam aufgeforstet. Wir treffen diese fleißigen Baumschulgärtner und sie zeigen uns stolz ihre Arbeit, umgehen ihre Fläche und stellen unterwegs ganz erstaunliches fest. Hier ist nämlich noch sehr viel Buschwerk der ursprünglichen tropischen Vegetation vorhanden. Wir gehen einem kleinen Bachlauf entlang runter mit der üppigsten Vegetation. Keinerlei Anzeichen von Erosion. Der gesamte „Mutterboden“ ist noch vorhanden, wird sogar von wildem Setaria- und Trypsacumgras festgehalten, das sehr tief wurzelt und das wir sonst an erosionsgefährdeten Flächen mühsam anpflanzen müssen. Solch eine gute Aufforstungsfläche haben wir in dieser Region noch nicht gesehen. Der einzige Schönheitsfehler sind die artfremden Eukalyptusbäume, die sich eben auch zwischendrin finden und offenbar irgendwann mal von Menschenhand hier angepflanzt wurden und seither weiterwucherrn, aber aus dem Busch nicht hinauswachsen, weil dies begehrtes Brennholz ist. Hin und wieder finden sich zwischendrin auch winzige Maniokanbauflächen. Der Eukalyptus, so finden wir, sollte wirklich so schnell wie moeglich moeglich komplett entfernt werden, aber die Leute sollen achtsam dabei sein und nicht die jungen Pflaenzchen verletzen. Ich hoffe nur diese Aufforstung kann vor dem Brennholzbedarf genügend geschützt werden. Vielleicht sollte zum Ausgleich in der Nachbarschaft ausnahmsweise mal eine Eukalyptus- oder Pinusplantage angelegt werden, so Henriette; die schnell wachsen und deswegen den Brennholzbedarf rasch decken können…

Ich gratuliere Anatole fuer diese großartige Arbeit seiner Mitarbeiter hier. Bisher sind erst 10 % der verfügbaren Ländereien aufgeforstet. Ob wir fuer die Bepflanzung des restlichen Gebietes seiner Organisation auch noch eine Unterstützung geben können lässt sich ihm leider zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht versprechen. Wir wollen unser Möglichstes versuchen.

Am Nachmittag, zurück im Quartier, treffe ich beim Tee einen belgischen Radiomann, der hier lokale Rundfunksender unterstützt, die u.a. ausführlich über Umweltprobleme und ihre Lösungen berichten wollen. Viele Menschen hier, die kaum Lesen und Schreiben können, hören Radio. Ich frage ihn, wie sie denn die Alt-Batterienfrage behandeln? Was sage man denn dazu den Leuten im Radio? Oh, antwortet er, darüber habe man eigentlich noch nicht nachgedacht. Aber dies gehöre unbedingt dazu, das sei richtig und er wolle sich des Themas annehmen. Wir tauschen unsere Karten aus. Ich bin mal gespannt, was da rauskommt…

Derweil trifft sich Henriette in einem teuren Hotel mit Experten der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Sie kommt völlig fassungslos zurück, hat sie doch auf der Hotelterrasse ein paar gemütlich rauchende Herren getroffen, die seit 2005 (und bis 2017) ein Programm mit viel Geld verwalten, das die Holzversorgung Bukavus verbessern soll, aber über Studien zum Holzverbrauch scheint man bisher nicht hinausgekommen zu sein und Aufforstung sei schon gar kein Thema gewesen. Henriette hat zum ersten Mal erlebt, dass staatliche Entwicklungszusammenarbeit manchmal völlig abgehoben agiert und nur wenig in der Lage ist einen Bezug zur lokalen Bevölkerung und ihren Sorgen herzustellen. Diese Leute seien erstaunt gewesen, dass wir ausschließlich mit dieser zusammenarbeiten – ohne „Experten“ aus dem Ausland – und das schon seit 20 Jahren. Wer hätte gedacht, dass das moeglich ist? Wir stellen uns vor, wie viel Wälder wir allein mit dem Geld hätten pflanzen lassen können, das dort bisher in Reisetätigkeit und Studien gegangen sein muss. 

Aber wir haben keinen Grund besonders stolz zu sein, denn auch wir muessen zugeben, dass bei uns Gruppen dabei sind, deren Leistungen eher bescheiden einzustufen sind. Wir muessen überlegen, ob wir das weiter fördern sollen – oder nicht eher die fleißigen Gruppen belohnen, welche mit den gleichen Geldmitteln großartige Arbeit geleistet haben. Traurig ist aber schon, dass in einem Luxushotel Bukavu Leute mit der richtigen Fragestellung sitzen, aber offenbar kein Bein auf die Erde kriegen.

Am Nachmittag verabrede ich mich mit Denis aus Belgien zu einem Spaziergang durch das Zentrum von Bukavu. Er zeigt mir das große Hauptpostamt, einst von seinen Landsleuten gebaut. Seinerzeit seien viele Briefe geschrieben worden. In der großen Halle finden sich mindestens 10 bis 15 Schalter, doch heute sei davon werktags höchstens einer in Betrieb. Der Rest des Gebäudes befindet sich in zunehmendem Verfall. So sind sämtliche Scheiben der Fenster im ersten Stock eingeschlagen. Neben dem Gebäude des Hauptpostamtes findet sich auch das „Photokopierzentrum“ Bukavus. Vielleicht 5 oder 8 Photokopierer stehen unter den Bäumen rum, durch Drähte irgendwo mit dem Stromnetz oder einem Generator verbunden und die Besitzer bieten auch am Sonntag ihre Dienste an. Bei Regen muss alles schnell unter das Vordach des Postamtes geschleppt werden. Wir gehen etwas weiter und Denis weist mich auf ein Trafohäuschen hin, dessen Türen sperrangelweit offen stehen. Denis geht hinein und prüft, ob da nochmal was repariert wurde. Jawohl, er findet einige nagelneue Schalter. Hier kommt der Starkstrom an und wird auf 220 V umgewandelt, um ins Netz des Zentrums eingespeist zu werden. Jeder kann hier reinlaufen und sich einen tödlichen Schlag holen, oder, bei Sabotage; die Stromversorgung lahmlegen. C’est la vie en Congo.

Als wir zu unserem Quartier zurückkommen, stehen auf der Straße rundrum sämtliche Menschen merkwürdig still und starr da und uns wird bedeutet, wir sollten uns ja nicht weiterbewegen. Und dann sehen wir auch schon, was los ist. Etwas weiter unten ist das Hauptquartier der Armee, wir haben 18 Uhr und die kongolesische Flagge wird feierlich eingeholt und fuer die Nacht sicher ins Bett gebracht. Zu diesem „Zapfenstreich“ bläst ein Trompeter feierlich die Nationalhymne mehr schlecht als recht und wer dazu nicht strammsteht, kann mit Unannehmlichkeiten rechnen. Werktags wird dafür auch der gesamte Verkehr auf der belebten Straße zum Stillstand gebracht. Heute sind hier besonders viele junge Leute, weil trotz Sonntag den ganzen Tag auf einer Baustelle gegenüber intensiv gearbeitet wurde. Hausbau im Kongo ist arbeitsintensiv. Mindestens 30 oder 40 Jugendliche schleppen immerzu Ziegelsteine, Zement oder was immer benötigt wird über eine provisorische Holztreppe inzwischen zum 2. Stock und das geht nicht ab ohne viel Geschrei, Lachen und Johlen. Ein Lärm von früh bis spät. Offenbar wird der Bau von einem Muslim finanziert, denn ein solcher steht oben in seinem flatternden weißen Gewand und scheint die Leute zu dirigieren. Doch in wenigen Minuten wird’s dunkel und dann versinkt Bukavu schnell in einen Dornröschenschlaf, denn nachts sich in dieser Stadt fortan zubewegen ist nicht ganz ungefährlich, viele Gauner und schlimmere bewaffnete Gesellen sind unterwegs und deswegen eilen die meisten Menschen rasch nach Hause, um ihnen nicht noch zu begegnen.  

1.1.10 Montag,  6. Februar 2012

Ab heute sitze ich vor allem im Büro unserer Partnerorganisation und schaue mir die Finanzakten von Projekten an, die wir gefördert haben. Zwischendurch kommen immer wieder Besucher, die von meiner Anwesenheit gehört haben und mich grüßen oder ihre Angelegenheiten mit mir besprechen wollen. So erfahre ich auch manches. Bosco z.B. weiß; dass jetzt die Holzkohle für Bukavu aus der Gegend von Shabunda kommt, noch ganz tief im Regenwald, vielleicht 150 km suedwestlich von hier. Dafür werde dieser aber mehr und mehr abgeholzt und in Meilern verkohlt. Und ganz offenbar kocht ein großer Teil der hiesigen städtischen Bevölkerung mit Holzkohle, die praktisch an jeder Straßenecke zum Verkauf feilgeboten wird. Da die Menschen hier noch nicht wissen, wie ein Wald richtig bewirtschaftet wird, um als solcher erhalten zu bleiben, trotz Holznutzung, ist zu vermuten, dass ein Waldstück nach dem anderen verschwindet und die dortigen Berge später genauso kahl aussehen wie hier im östlichen Teil der Provinz – und wie an vielen anderen Stellen überall in Afrika.

Das sind Fragen, die uns bewegen und um vielleicht hierzu neue Erkenntnisse zu gewinnen, nehmen Henriette und Antonios ab heute an dem ersten internationalen Kongress teil; der nach dem Krieg überhaupt in Bukavu organisiert wurde. Thema: „Die kommunale Verwaltung der natürlichen Ressourcen in Nachkriegssituationen“ (weitere Infos in Englisch oder Französisch:  HYPERLINK "http://www.kongo.l-h-l.org" www.kongo.l-h-l.org ) 

Ich selbst habe mich entschlossen in diesen Tagen in aller Ruhe die Original-Verwendungsnachweise unserer hiesigen Partnerorganisationen anzuschauen. Das ist viel weniger spektakulär, muss aber auch mal sein. Oft ergeben sich daraus Einsichten über gute oder weniger gute Projektentwicklungen; die dann besprochen werden müssen. Dafür sind dann die Nachmittage da. 

Abwechslung ist jetzt in unserem Quartier eingekehrt, einem kirchlichen Gästehaus. Hier sind jetzt für ein paar Tage ganz viele junge Leute aus zahlreichen afrikanischen Ländern angekommen für eine Fortbildung. Bei Tisch sitzen wir zusammen und da ergeben sich oft die interessantesten Gespräche. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern, z.B. Togo, Ghana, Nigeria, Burkina Faso, Elfenbeinkueste, Tansania, Sambia, Malawi, Uganda und natürlich Kongo. Da ist auch jemand aus Mexiko dabei, aber kein Europäer. Wir erzählen viel und vor allem wird gelacht und von mir will man immer wieder wissen, weshalb ich im Kivu bin und wie das Leben in Deutschland aussieht. „Tiefgefroren“ ist da momentan meine Antwort und ich muss naher erläutern, was „Winter“ in Europa bedeutet. Sowas kann man sich hier nicht vorstellen.

1.1.11 Dienstag, 7. Februar 2012

Auch der heutige Tag ist für mich ganz unspektakulär. Die Buchhalterin schleppt ganze Aktenberge herbei und ich schaue mir ihre Arbeit an. Auf dem Weg zum Büro muss ich immer aufpassen, nicht mal in einen Gulli zu fallen. Die einstigen belgischen Kolonialherren haben zwar das Zentrum von Bukavu mit Kanalisation versorgt, seitdem ist aber fast überall der Gullideckel abhanden gekommen. So gibt’s am Straßenrand alle paar Schritte metertiefe Löcher und heute sehe ich sogar Arbeiter der Redigiso, der Wasserversorgung, am Werk, die mit einer Art Gasmaske hineinklettern und allen möglichen Unrat herausholen. Das System war wohl verstopft, was sich bei starkem Regen dann unangenehm bemerkbar macht, weil dann alles raus quillt und die Straßen überschwemmt. Kanaldeckel bringen sie natürlich nicht mit. Besonders bei Dunkelheit muss man hier sehr aufpassen.

Ansonsten wird uns immer klarer, dass wir an den vielen Aufforstungsflächen vor allem die Baumschulen in Zukunft erhalten sollten. Wir haben im Laufe der Jahre Hunderte von Baumschulgärtnern ausgebildet und wenn alle diese Leute in Zukunft alle wieder anderswo arbeiten müssen oder arbeitslos werden, dann geht viel „Know How“ verloren und in den jungen Wäldern kann nicht mehr so gut nachgepflanzt werden. Wir müssten also ein „Forstmanagement“ einführen, ansonsten besteht die Gefahr, dass unsere jetzigen Erfolge aufgrund des Brennholzbedarfs wieder zunichte gemacht werden. Glücklicherweise haben wir parallel zu diesem Programm der Aufforstung auch den holzsparenden Ofen „Rocket Stove Lorena“ (vgl.  HYPERLINK "http://www.kongo.l-h-l.org" www.kongo.l-h-l.org ) eingeführt, der sich jetzt bei den Frauen, die ihn benutzen, großer Beliebtheit erfreut, auch deswegen, weil er nicht rußt, aber auch wegen der Ersparnis von 50 – 60 % Holz. Wir überlegen heute Nachmittag, wie wir schaffen können, dass sich die bisher angestellten Ofenbauer selbständig machen können. Normalerweise müsste der Ofenbau ein kleines Einkommen erwirtschaften können. Bisher haben wir viele Öfen an Bauern verschenkt, die freiwillig und unentgeltlich bei der Pflanzung der Bäume geholfen haben.

Am Abend erzählt Henriette von der Konferenz. Man habe morgens eine Exkursion gemacht – wieder nach Nyangezi und zwar in Begleitung des Provinzgouverneurs. Dieser sei mit reichlich Polizeischutz und tatütata vorausgefahren und alle anderen im Bus hinterher. Man habe dort eine Aufforstung besichtigt und der Gouverneur habe sich dann vor den Bäumchen von Presse, Funk und Fernsehen ablichten lassen bzw. Interviews gegeben. Ob er sich für die Aufforstung wirklich interessiert habe, sei für sie nicht ersichtlich gewesen, doch anschließend seien alle von einer nahen kirchlichen Schule empfangen worden zu einem Imbiss und der Gouverneur habe vor versammelter Presse stolz erzählt; hier sei er selbst zur Schule gegangen. Danach habe er sich für den Rest der Zeit mit seinem IPoD beschäftigt, vielleicht muss man auch sagen, er hat sich dann seinen Regierungsgeschäften per IPOD gewidmet.

1.1.12 Mittwoch,  8. Februar 2012

Morgens kommt Pater C. mit seinem Besuch aus Deutschland vorbei und wir tauschen Erfahrungen aus. Wenn man zum erstemal im Kongo ist, dann lässt sich nicht alles so einfach mal verarbeiten, was man hier alles sieht. Wirklich, die Armut der meisten Menschen ist überwältigend und wir sehen ja nur ganz wenig davon. Jeder muss sich irgendwie durchschlagen und oft reicht dies höchstens für eine Mahlzeit am Tag – wenn überhaupt. Nicht etwa weil zu wenig Nahrungsmittel erzeugt würden, sondern weil man sich nicht leisten kann, allzu viel zu kaufen. Wer überhaupt eine feste Stelle hat bekommt meist ein winziges Gehalt unter der Armutsgrenze und muss sehen, wie er oder sie über die Runden kommt und dann noch oft mit 6, 8 oder sogar 10 Kindern. 

Ich bringe die Besucherin mittags zurück zu ihrem Quartier und laufe allein zurück. Diesmal nehme ich einen anderen Weg, der am Zentralgefängnis entlang führt und dort steil den Berg hinan, von wo aus man von oben einen direkten Einblick in die Innenhöfe des Gefängnisses hat. Heute scheint Waschtag zu sein, jedenfalls hängt überall die Wäsche, soviel, dass sich daraus die starke Belegung erschließen lässt. Hin und wieder huschen auch Gestalten durch die Innenhöfe. Von einer Kochstelle steigt Rauch auf. Leider laufen trotzdem die meisten Gauner im Kongo frei rum. Straflosigkeit ist ein sehr ernstes Problem hier, das in diesem Ausmaß erst nach der völkerrechtswidrigen Besetzung durch die östlichen Nachbarländer mit allen möglichen Milizen entstanden ist. Viele Kriegsverbrechen sind geschehen und fast alle bis  heute ungesühnt. Die UNO spricht von 5 Mio. Kriegstoten… 

Vermutlich sitzen aber da unten im Knast die kleinen Gauner, während die großen sich das eher noch gut sein lassen können und immer noch nachts z.B. die Stadt hier unsicher machen. Auf dem Rückweg fällt mir wieder die intensive Bautätigkeit auf. Wer irgendwie Geld hat, scheint dies sofort in Immobilien anzulegen. Und noch etwas fällt mir wieder einmal auf. Eigentlich sind die Häuser, die hier gebaut werden architektonisch durchaus geschmackvoll - wenn nicht schön - konzipiert, wenn auch die Qualität der Bauten oft zu wünschen übrig lässt. Nicht selten scheint auch das Geld vorzeitig auszugehen. Man wohnt dann schon im fensterlosen Haus in der Baustelle. Bei diesem Klima hier sind Fenster auch nicht unbedingt zwingend – außer zum Schutz gegen Diebe. Übrigens haben weiter unten, vom Place d’Indépendance an die Chinesen zu meiner großen Überraschung in den letzten Monaten 2011 noch einen Teil der langen Avenue Industrielle geteert, doch Pater C. erläutert dann: exakt bis einen Tag vor den nationalen Wahlen. Seitdem habe man jegliche Bautätigkeit eingestellt.

Heute Mittag zieht sich der Himmel zu. Beim Mittagessen zucken wir alle zusammen, ein schwerer Donnerschlag. Das Gewitter ist da und mit ihm fast für den ganzen restlichen Nachmittag der Regen. Für den Abend bin ich aber zum Abschlussfest der Konferenz eingeladen und hatte mir vorgenommen, zu Fuß hinzugehen. Doch jetzt bei Regen, ist das nicht gerade ein Zuckerschlecken. Da muss wohl ein Taxi helfen. Aber wie bezahlen? Ich habe nur noch einen 100 Dollar-Schein in der Tasche und damit lassen sich schlecht die 500 Franc Congolais (etwas mehr als ein halber Dollar) für das Taxi bezahlen. Denis hilft mir aus der Patsche und macht den Schein klein. Doch als ich losging hatte der Regen aufgehört und ich konnte doch zu Fuß gehen. Allerdings - was für Straßen sind das jetzt? Wo sonst arg viel Staub aufwirbelt, ist jetzt alles total verschlammt. Man muss bei jedem Schritt aufpassen, wohin man tritt und dazu noch auf die Autos von nebenan, um nicht vollbespritzt zu werden. Aber an diesem Spätnachmittag sind jetzt viele Menschen unterwegs, die meisten wohl auf dem Heimweg. 

Mir ist wichtig, hier zu Fuß zu gehen, wie die meisten Menschen hier. Sie erleben meistens, wie die Muzungus herumkutschiert werden, also einer anderen Welt angehören. Ich möchte dagegen doch lieber Freud und Leid mit den Einheimischen teilen. Und heute ist ein relativ kleines Leid die matschige Straße. 

Allerdings findet die Abschlussveranstaltung der Konferenz in einem eleganten Hotel statt, also wieder in der „anderen Welt“ – und ich stehe jetzt mit total verdreckten Schuhen davor. Glücklicherweise hat das Hotel einen gepflegten Rasen und der muss jetzt mal als mein „Schuhputzer“ herhalten. Kurz später sitze mitten in der Abschluspraesentation der Konferenz, das Fernsehen, die Nachrichtenagentur Reuters und andere Reporter machen Aufnahmen und links sitzen an einem Ehrentisch neben der obligatorischen kongolesischen Flagge ein Mini<

 


Geändert am 09.03.2012 11:08 von Jugendserver Niedersachsen

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