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1 Kongobriefe 2012

1.1 Es geht los! Donnerstag, 26. Januar 2012 

Der Rucksack ist gepackt. Wieder einmal soll die Reise in den Kongo gehen. Hier eine kleine Vorbemerkung, bevor wir nachher in den Flieger steigen und dann nach gut 10 Stunden in der Luft (mit zusätzlich drei Stunden Transit in Addis Abeba) in Bujumbura, der Hauptstadt von Burundi direkt am nördlichen Tanganjikasee wieder festen Boden unter die Füsse bekommen.

Und wenn nicht zu viele Stromausfälle sind, gelingt dann hoffentlich auch, Euch wieder etwas vom Leben im Ostkongo und zum Schluß auch nochmal einige Eindrücke aus Äthiopien zu berichten.

Die Tage vor dem Abflug sind immer ziemlich hektisch. Da kam vorgestern noch ein Paket mit Solartechnik. Wird natürlich dringend gebraucht und einige unserer Partner hatten letzten September an einem Ausbildungskurs teilgenommen. Jetzt kam für sie Nachschub. Problem: Das Solarpanel misst 48x46 cm. Wie bekomm\\' ich das denn in den Rucksack? Auch die Reisetasche, die ich für alle Fälle schon bereithielt, schien zu klein. Aber ohne Panel kein »Homesystem« - und sowas bedeutet bei den ständigen Stromabschaltungen zuverlässig Licht, Laptop, Handyaufladen etc. Das muss also mit. 

Aber, siehe da, Taschen haben manchmal die Eigenschaft sich zu dehnen. Irgendwie gings auf einmal doch rein, auch wenn jetzt die Form der Tasche nicht mehr so leicht wiederzuerkennen ist. Hauptsache das Ding ist drin. Darunter noch die beiden Solarpanel für die Lampen. Von einem LHL-Solar-Projekt in Nigeria wird auf folgenden Internetseiten berichtet: nigeria.l-h-l.org/?Reisebericht_Dezember_2010 und aktuell.solarenergie-fuer-afrika.de/?2._Solarworkshop_Kaduna_%28Nigeria%29_Dezember_2011. Wir hoffen demnächst ein ähnliches Projekt auch für den Ostkongo durchführen zu können.

In den letzten Tagen hatten wir noch eine breitere Diskussion zum Alt-Batterie-Problem. Wer das Kongo-Reisetagebuch im August letzten Jahres gelesen hat, wird sich erinnern, dass das "Alt-Batterien-Problem" fast wie ein roter Faden durch viele Gespräch ging, von denen ich berichten konnte. Vor ein paar Tagen hat Antonios aus Uvira uns folgendes Foto geschickt:

Was wir da am 15. August 2011 diskutierten (www.jugendserver-niedersachsen.de/index.php)ist also nicht folgenlos geblieben. Grundschulkinder in Uvira am Tanganjikasee sammeln für ein paar Bonbons unzählige alte Batterien, die überall vor sich hinrosten - und werden natürlich auch angeleitet, sich anschließend die Hände zu waschen.

Doch was nun? Und das war der Grund für die Hektik. Was wir versuchten herauszufinden war, ob schon irgendwo in Afrika ein Recyclingprojekt für solche Batterien existiert. Aber möglicherweise, so unsere Schlüsse, ist das vorerst Fehlanzeige. Also: Überall auf dem afrikanischen Kontinent massenhaft Batterieeinsatz in Radios, Taschenlampen und und und - aber keinerlei Recycling. Was oft gemacht wird zur "Entsorgung" ist ja im letzten Reisetagebuch zu lesen. Zuletzt kamen wir auf eine Hamburger Stiftung, die sich um das Recycling von Batterien in Deutschland kümmert - oder per Gesetz kümmern muss. Aber sie sind natürlich leider nur für Deutschland zuständig.

Hilf uns suchen! Tja, wie weiter? Das ist die große Frage? Wir brauchen neue Ideen... Vielleicht sucht Ihr, liebe Leserin, lieber Leser des Jugendservers mal im Internet, ob sich schon ein solches Projekt findet...

Immerhin stecken Batterien voller »urbaner Rohstoffe«, die aufgrund steigender Rohstoffpreise immer wertvoller werden. Die Fachzeitschrift für Entwicklungshilfe »weltsichten« spricht bereits von "Schätzen im Schrott" -  Sekundärrohstoffe aus \\'urbanen Minen\\' würden immer wichtiger, ist da im Dezemberheft 2011 (externer Link) zu lesen. Aber wie installieren wir Batterie-Recycling im »Herzen Afrikas«? Eine von vielen Fragen, die uns begleiten, wenn wir aus der wohlgeordneten Welt der Industriegesellschaften im Norden in die agrarisch geprägte tropische Welt reisen, wo viele Menschen »von der Hand in den Mund« leben.

Die Tropen sind anders, ganz anders. Natürlich, dicke Pullover kann ich zu Hause lassen. Aber ich komme eben in eine Agrargesellschaft. Fast alle Nahrungsmittel auf dem Tisch sind unmittelbar vor der Haustür oder in der Region erzeugt worden. 

Weite Bereiche Niedersachsen sind ja auch angeblich eine Agrargesellschaft. Aber der Unterschied zu einer »richtigen« Agrargesellschaft, wo fast alle Menschen von der Landwirtschaft leben, ist riesig. In Niedersachsen wird Landwirtschaft oft im industriellen Rahmen organisiert - und gut daran verdient, weil Menschen in großen Städten beliefert werden. In Afrika ist sie »Subsistenzwirtschaft«, man produziert für den eigenen Bedarf und kann nur ab und zu auch etwas verkaufen. Ich habe mal einen Freund gefragt, der beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Katastrophenhilfe organisierte, ob er denn bei Bauern im Kongo einkaufe und er antwortete mir, er wolle gerne, aber sie seien auf die großen Mengen, die er benötige, nicht eingerichtet. Fast überall in Afrika sei man darauf nicht eingerichtet.... So werden in Gebieten, wo Menschen hungern, Nahrungsmittel aus den Industrieländern verteilt und die heimische Landwirtschaft, die evtl. hundert oder zweihundert Kilometer weiter weg vielleicht gute Ernten hat, bleibt darauf sitzen.

Bei Lernen-Helfen-Leben e.V. sind im Moment einige Mitglieder ganz begeistert von dem Angebot der Leute von einfaelle-statt-abfaelle.de, welche demnächst mal ein Seminar über Hühnerhaltung irgendwo auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein anbieten und wenn\\'s gut läuft, wollen sie im März sowas auch speziell für Kinder und Jugendliche machen.

Kinder im Kongo wachsen überall, in der Stadt und auf dem Land mit Hühnern und Ziegen auf. Manchmal hat\\'s auch Schweinevieh und oben auf den Bergen stehen Rinder. In Flüssen und Teichen hat\\'s Unmengen an Fischen und wenn - tief im Regenwald - mal eine riesige Pythonschlange erlegt wird, dann hat das ganze Dorf genug zu Essen. Im Kochtopf gelten sie als Delikatesse. In der Wildnis sollte man ihnen besser nicht begegnen. Im Ostkongo hat\\'s nur wenig Wald und deshalb keine Pythonschlangen. Wir fördern ja Aufforstungsprojekte und holzsparende Öfen, damit die Restwälder besser geschützt bleiben.

Bei der jetzt anstehenden Reise soll u.a. in Burhinyi auch die Gründung einer Genossenschaft weiter beraten werden. Die geplanten Ziegeleien in verschiedenen Ortschaften haben gerade diese Woche ihre "große" Fortbildung und können danach richtig loslegen. Wir hatten für fünf verschiedene Organisationen im Kongo (auch im Westen) Ziegelpressen gekauft, mit denen man Dachziegel, Bodenplatten und ganz normale Ziegelsteine herstellen kann, die dauerhaft haltbarer sind als die bisher "selbstgemachten" (und oft nur in der Sonne getrockneten), wie auf diesem Bild zu sehen ist.

 

In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich Euch wieder einiges aus der tropischen Welt des Kongos erzählen. Wir werden aus dem deutschen Winter (der sich diesmal gar nicht so richtig blicken ließ bisher) an den sommerlich heißen Tanganjikasee kommen und erstmal 40 Grad im Schatten zu verkraften haben. 

"Wir", das sind Henriette und ich. Henriette ist eine Försterin (im vorigen Jahr war ihr Kollege Philipp mitgefahren) und soll sich die Arbeit bei den Aufforstungen anschauen und dann - das hoffe ich sehr - den Partnern dort fachkundigen Rat in Sachen "Forstwirtschaft" geben. Denn sowas ist im Ostkongo fast unbekannt. Eine Forstverwaltung hat\\'s höchstens für den Kahuzie-Biega-Nationalpark, wo einige Gruppen der letzten Gorillas zu Hause sind und der deswegen UNESCO-Weltkulturerbe ist ( whc.unesco.org/en/list/137) , aber im übrigen Land sind solche Kenntnisse unbekannt. Und Aufforstung ohne forstwirtschaftliche Fachkenntnisse ist auf Dauer nicht ausreichend. Wenn der Urwald einmal abgeholzt ist, wächst günstigenfalls ein "Sekundärwald" heran, den Menschen "bewirtschaften" - so ist das z.B. in Mitteleuropa. Und ein solcher tropischer Wald braucht auch seine Pflege. So werden wir in den nächsten vier Wochen genug Themen mit den kongolesischen Partnern zu beraten haben und ab und zu kann hier im Jugendserver hoffentlich darüber berichtet werden.  

 

Freitag, 27. Januar 2012

 

Hätte ich doch nur nach einem äthiopischen Frühstück gefragt. Jetzt kam Toastbrot, etwas Margarine, etwas Marmelade und ein Mokka als Kaffee. Dabei hätten sie mit Sicherheit das wohlschmeckende äthiopische Fladenbrot gehabt. 

Aber ich bin halt noch nicht richtig angekommen. Um 9 Uhr war dann „Einchecken“ für den Weiterflug. Unser Ziel fanden wir allerdings nicht auf der Anzeigetafel, dafür unsere Flugnummer. Und der Flug sollte nach Nairobi-Kilimandscharo gehen. Wir wollten aber nach Bujumbura. Prompt wurden wir aussortiert und standen erstmal verloren rum, bis ein Kleinbus kam und uns zum „richtigen“ Flugzeug brachte – und dort hörten wir, dies gehe erstmal nach Mombasa an den Indischen Ozean, also Südosten – und von dort weiter nach Bujumbura in Burundi, also Südwesten. Also stand uns ein Ostafrika-Rundflug bevor. Mombasa ist der Haupthafen Kenias, aber die Container gehen bis nach Uganda und in den Ostkongo. 

Wir flogen dann über eine zwar erhabene, aber völlig ausgetrocknete Steppenlandschaft. Hin und wieder ein Dorf und viele, viele ausgetrocknete Flusstäler. Ostafrika ist dürregeplagt – und jetzt ist gerade Trockenzeit nördlich des Äquators, auch wenn in der Regenzeit manches nochmal grün wird. Weite Landschaften hatten, das war auch klar zu sehen, erhebliche Erosionsschäden, d.h. der Regen hat im Laufe der Jahre den Mutterboden fortgewaschen und übrig geblieben ist  eine darunterliegende unfruchtbare rötliche Erde. Doch je näher wir zum Indischen Ozean kamen, umso grüner wurde alles – hier waren wir schon südlich des Äquators – und vor allem gab\'s dann auch immer wieder größere Waldflächen zu sehen. In Mombasa schlug uns an der Gangway eine feucht-heisse tropische Luft entgegen. Doch die Stewardess rief uns zurück: „Bitte stellen Sie sich nicht auf die Gangway, das könnte Probleme bringen.“ Ach so, im Flugzeug waren wir „exterritorial“, für das Betreten der Gangway dagegen hätten wir ein kenianisches Visum benötigt. Das leuchtet ein und das benötigten wir vorerst nicht. 

In Bujumbura zwei Stunden später benötigten wir allerdings ein Visum. Der Flug ging noch über die tansanische Steppe – den Kilimandscharo haben wir irgendwie verpasst, vermutlich weil wir nach Schnee Ausschau hielten und bei den vielen hohen Bergen nirgends sahen. Aber man hörte ja schon, dass wegen Klimawandel der einstige Gletscher auf dem höchsten Berg Afrikas, dem Kilimandscharo verschwunden sei. Dafür war der größte See Afrikas, der Viktoriasee in seiner ganzen Fülle zu sehen, d.h. Henriette sah ihn und staunte, ich sass auf der anderen Seite, um mir die Steppen Tansanias anzuschauen. Doch dann kam Burundi und hüllte sich in Wolken bis zur Landung. 

Die Visaerteilung in Bujumbura ging flott, weil wir die ersten waren, die rauskonnten. Draußen wurden wir schon erwartet und fuhren erstmal zu Pater Benno von einer katholischen Missionsstation. Wir sind schon länger mit ihm im Gespräch über eine Zusammenarbeit im Solarbereich – und heute konnte Pater Benno uns eine interessante Projektkooperation ankündigen, bei der wir dann Leute aus verschiedenen Regionen des Kongos nach Bujumbura zur Ausbildung in Solartechnik einladen können – wenn alles bewilligt wird. Manches geht halt über kirchliche Einrichtungen einfacher. 

Dann fahren wir zur Grenze, holen uns nochmal einen burundischen Stempel und werden auf der anderen Seite für den Kongo registriert. Um die Fremden kümmert sich im Kongo der DGM, wie in vielen francophonen Ländern muß man überall registriert sein. Gefragt wird sogar nach den Namen von Vater und Mutter. Ok, ich pflege die Gräber meiner inzwischen verstorbenen Eltern und freue mich immer wieder, dass wenigstens die kongolesischen Behörden sich für ihre Namen interessieren. Dummerweise bricht dann die erstaunlich moderne Computerkommunikation bei der kongolesischen Grenzstelle zusammen und wir müssen auf den Chef warten, der hoffentlich weiter weiß. So beginnt das Warten im Kongo, was eigentlich ein Thema für sich ist. Schließlich bekamen wir auch dort unsere Stempel und jetzt hat heftiger Regen eingesetzt und wir kommen recht durchnässt zum Auto. Dann kommt noch der Zoll an und schaut durch die Fensterscheiben, ob wir vielleicht eine fette Beute sind, aber da lagen halt nur zwei Rucksäcke und eine alte Reisetasche. Wir wurden von den Damen, ja, für so was sind im Kongo offenbar eher die Damen zuständig, glücklicherweise durchgewunken. Fünf Uhr war schon vorüber und in einer Stunde wird’s dunkel.  

Das Hotel hat im dritten Stock rundrum Terrassen und eine wundervolle Aussicht auf den Tanganjikasee – und auf der anderen Seite auf die hohen – weitgehend kahlen – Berge, hinter denen allerdings der ziemlich unberührte Itombwe-Regenwald liegt, der hoffentlich noch für lange Zeit unberührt, weil verkehrsmäßig nicht erschlossen, bleibt. Der einzige Nachteil des Platzes ist nicht dem Hotel anzulasten, sondern der Nachbarschaft, halt mitten in der Stadt. Uvira schläft nicht, Lärm die ganze Nacht, ob mit Autos, mit Discotheken, mit Lautsprecher oder was weiß ich. Wir sind todmüde, stopfen uns wieder Ohropax in die Ohren und jeder von uns ist bald im Tiefschlaf, nach einer Reise, die ingesamt gut 24 Stunden gedauert hat. 

1.2 Samstag, 28. Januar 2012

Heute Morgen höre ich, wir müssten den lokalen DGM begrüßen. Auch das noch. Das ist wohl neu. Stattdessen kamen die Herren vorbei, interessierten sich für unseren Paß und fanden auf einmal, daß die kongolesische Botschaft in Berlin offenbar etwas falsch gemacht habe. Ach so. Das habe irgendwie etwas mit der Reisedauer zu tun. Das Visum sei einen Monat gültig, war aber schon zwei Wochen vor unserer Einreise ausgestellt worden. Damit kamen sie nicht zurecht und zu allem Überfluß stand an anderer Stelle auch noch, man könne vom Ausstellungstag an innerhalb von drei Monaten in den Kongo reisen. Das war für die lokale DGM zuviel. Ich legte los und sagte, die kongolesische Botschafterin in Berlin habe jahrelang im Außenministerium in Kinshasa gearbeitet und wisse wohl, wie man ein Visum auszustellen habe. Dann wollten sie auch ein Formular ausgefüllt haben, das wir schon an der Grenze, für die Botschaft und im Hotel ausgefüllt hatten, immer mit der Frage nach den Namen von Papa und Mama. Und ein Paßbild sollten wir jetzt auch noch abgeben. Aber das sei doch im Paß. Dann müsse der eben fotokopiert werden. Glücklicherweise kamen jetzt unsere Projektpartner, zwei gestandene Mitglieder der örtlichen Zivilgesellschaft. Nullkommanix hatten sie die Situation erfasst, knöpften sich die beiden Herrschaften vor und lasen ihnen die Leviten. Das hätte ich am liebsten gefilmt. Die wurden ganz klein und uns gegenüber dann freundlich. Ihre Aufgabe sei ja, uns zu beschützen. Dann zogen sie ab – sogar ohne Paßbild.

Später trafen wir noch einen belgischen Ausbilder, der für uns gerade eine Woche lang die Leute für die Ziegelpressen in Burhinyi (link auf dem Jugendserver Niedersachsen) fit gemacht hatte. Und der hatte auch solch eine Geschichte auf Lager. Sein Reisepass war voll, d.h. im alten hatte die kongolesische Botschaft in Brüssel gerade noch das Visum reingeklebt und dann hatte er schon einen neuen, in den dann hätte gestempelt werden müssen. Aber das war für die DGM zu hoch. Sie verlangten doch tatsächlich nochmal die Bezahlung der gesamten Visagebühr, damit im neuen Paß auch solch ein Visum reingeklebt werden konnte. Die Brüsseler Botschaft wird jetzt Besuch bekommen zwecks Reklamation und mir dämmerte, daß unsere Freunde von der Zivilgesellschaft uns möglicherweise vor ähnlichen Geldforderungen gerade noch geschützt haben. 

Der Gerechtigkeit halber muß ich aber sagen, daß zumindest für mich bisher solche Begegnungen die Ausnahme sind. Vor allem die Grenzbeamten sind meist außerordentlich freundlich und zuvorkommend.

1.3 Sonntag, 29. Januar 2012

Heute ist Sonntag und ich laufe in der Frühe erstmal den Tanganjikasee entlang. Obwohl 6.30 Uhr ist da überall schon emsiges Leben. Viele erledigen ihre Morgenbad im glasklaren See, andere waschen ihre Wäsche und zwar nicht nur die Mamas für den Rest der Familie, ich sah die 12, 13, 14-jährigen Jungs, wie sie ihre Jeans schrubbten und wuschen und lachten. Sicherlich, im Kongo sind viele Menschen religiös und gehen sonntags zur Kirche, aber auch manche alltäglichen Arbeiten müssen erledigt werden, so eben auch die Morgentoilette oder Wäschewaschen, wozu die Schulkinder während der Woche nicht kommen, denn Schulunterricht ist von montags bis samstags. Leider wird der einst saubere Strand nach wie vor immer mehr zur Müllhalde – ich hatte im vorigen Jahr schon darüber berichtet. Heute sah ich Kleinkinder, wie sie die Plasticstreifen aus dem Sand zogen, zu prüfen, ob man damit spielen könne. Originellerweise sind die Hütten, ein paar Meter weiter blitzblank geputzt und zu dieser frühen Stunde sieht man oft, wie auch noch vor der eigenen Haustüre im wahrsten Sinne des Wortes mit Reisigzweigen gefegt wird. 

Was also nicht funktioniert ist der Bereich der öffentlichen Dienste und das ist auch gar kein Wunder, denn bis heute sind keine kommunalen Vertreter demokratisch erwählt, sondern von der Regierung ernannt. Weshalb sollen sie sich also für die Belange der Bevölkerung einsetzen, solange sie die Belange der Regierung erfüllen? 

Aber jetzt mal etwas Erfreulicheres. Chris, unser Fahrer, der den belgischen Ausbilder gestern Abend aus Bukavu mitgebrachte, war die gesamte Woche bei der Ausbildung zur Bedienung der mechanischen Ziegelpressen dabei gewesen und hatte uns schon zwei Ergebnisse mitgebracht: einen Ziegelstein und eine Bodenplatte. Als ich frühstückte waren die beiden schon rüber nach Bujumbura gefahren, aber für die anderen Gäste waren diese ersten Produkte der Ziegelpresse heute morgen die absolute Attraktion. Solche stabilen Ziegelsteine hätten sie ja hier noch nie gesehen. Und erst die Bodenplatten! Für solch eine Qualität – und man zeigte auf den Boden der Hotelterrasse habe man bisher bis nach Kampala, der Hauptstadt Ugandas, fahren müssen um sie zu finden. Die beiden Beweisstücke der Ausbildung wurden herumgereicht und schnell kam der Wunsch auf, auch für Uvira müsste solch eine Ziegelpresse angeschafft werden. Und dann waren sie auch noch ohne Brennen und ohne den teuren Zement hergestellt worden, nur mit Lehm oder Ton. Und Dachziegel könne man auch auf diese Weise herstellen. 

Zu den Gästen gehörte zufällig auch ein Reporter des lokalen Radios und Fernsehens, der am liebsten sofort ein Interview dazu gemacht hätte, aber leider seine Technik nicht dabei hatte. Aber er hat sich Telefonnummern aufgeschrieben. Sowas gehört hier gesendet! Welch eine Sensation!

Der Tag wurde heiß und heisser und Chris kam und kam nicht aus Bujumbura zurück. Wir übten uns mal wieder im Warten. Wir wollten heute noch nach Bukavu fahren und hatten uns für 4 Uhr angekündigt. Schließlich gegen ½ 2 Uhr war es soweit und wir brausten los mit seinem Jeep. Die Straße bis Kamanyola ist geteert – eine Seltenheit im Kongo und manchmal kann man bis 100 km/h aufdrehen. Da freut sich das Herz des kongolesischen Autofahrers, der oft mit 30 oder höchstens 40 km/h vorlieb nehmen muss wegen der schlechten Straßenverhältnisse allüberall. 

Wir achten mal wieder besonders auf die Bäume am Straßenrand und wie immer sind wir entsetzt über die vielen Eukalyptuspflanzungen. Dieser  Baum verbraucht ganz viel (Grund)Wasser und sollte eigentlich nicht in eine ohnehin schon trockene Gegend gepflanzt werden. Aber im gesamten Kivu sieht man sehr häufig solche Pflanzungen. Schreiner können mit dem Holz einiges anfangen (und inzwischen finden sich ja auch in deutschen Baumärkten Billigmöbel aus Eukalyptusholz) und wo das Feuerholz herkommt ist den Frauen meist egal.

In Kamanyola endet für den Kongo die geteerte Straße. Auf kongolesischer Seite müsste man stundenlang über eine extrem steinige Straße mit Serpentinen hochfahren, um die 1.000 Meter zu überwinden nach Bukavu und dann nochmal so 200 Meter wieder runterfahren auf das Niveau des Kivusees, der 800 Meter höher als der Tanganjikasee liegt. Wir benutzen die ruandische Seite, müssen also nochmal die Pässe abstempeln lassen, in Kamanyola und eine halbe Stunde später in Ruzizi bei Bukavu – so schnell geht nämlich die Fahrt in Ruanda über eine gut ausgebaute Straße – die auch noch professionell gegen Erosion befestigt ist, mit SetariagrasTrypsacum(gras), mit Bambus und vielen anderen Baumarten. Und dann wieder das pitoreske Bild, das mir immer in Ruanda auffällt und was die Kongolesen so nicht kennen: Vor den Wohnhäusern gibt’s fast überall hübsche kleine Vorgärten mit Blumen. Ob da die ehemalige deutsche Kolonialzeit noch etwas hinterlassen hat?

Hier in Bukavu ist wegen des Sonntags alles etwas ruhiger, aber trotzdem wird an jeder Ecke gehandelt und Märkte sind geöffnet. Aber immerhin, der Straßenverkehr ist ruhig, im Vergleich zu Wochentagen wenn auch die Provinzhauptstadt des Südkivus regelmäßig durch Staus geplagt ist. Und noch etwas fällt auf den ersten Blick auf. Hatten nicht die Chinesen ein paar Straßen geteert? Und jetzt beginnen da nach ein oder zwei Jahren doch schon die ersten Schlaglöcher sich breit zu machen? Was ist denn das? Manche Straßen von der belgische Zeit sind 50 Jahre und älter, haben zwar inzwischen viele Schlaglöcher, zeigen aber aber vielen Stellen immer noch, was einmal Qualitätsarbeit war. Also so was! Damit machen sich die Chinesen bestimmt nicht beliebt. Das ist ja genauso wie mit der Technik, die sie nach Afrika liefern. Alles sieht genauso modern und schön aus wie bei uns in Deutschland im Baumarkt. Nur wundert man sich, dass in Afrika nach ein paar Wochen fast jeder neu Wasserhahn tropft, Türgriff abbricht oder was auch immer. Das Material ist grottenschlecht. Nach Afrika kann man das ja schicken. Materialprüfung ist (noch) unbekannt. 

Nebenbeibemerkt: Bei Lernen-Helfen-Leben diskutieren wir, genau dies zu ändern und solches „Know-how“ in unseren Projekten zu vermitteln. Denn wir hätten genau den gleichen Schrott in unseren Geschäften, hätten nicht die großen Handelsketten Abteilungen für Materialprüfung. Ausschuß lehnen diese ab, der wird dann offenbar gleich nach Afrika verschifft.

Jetzt muss ich vorerst aufhören. Am Montag wollen wir schon rausfahren aufs Land. Da ist nichts mit Internet. Wir sind frühestens am nächsten Wochenende zurück. Dann geht’s weiter mit einer Fortsetzung des Kongo-Reisetagebuchs 2012.

 

 

1.4 Mushenyi, 31. Januar 2012

Für die meisten Menschen hier bleiben also die Abende dunkel. Kein Fernsehen, vielleicht noch Radio mit einem Transistorapparat. Und Licht mit einer Kerze oder einer Petroleumlampe. Und solch eine steht auch beim Abendessen auf dem Tisch. Vor dem Essen wird eine Waschschüssel gereicht mit Seife und Handtuch. Jeder wäscht sich die Hände – denn gegessen wird traditionell mit den Händen, nicht mit Messer und Gabel. Heute gabs Oguli, wie Fufu auf Kisuaheli heißt, das Nationalgericht zubereitet aus Maniok- und Maisgries. Dann Amarand- und Kohlgemüse, Reis, Hähnchenfleisch (das Hähnchen lief heute früh noch putzmunter auf dem Hof rum) und zum Nachtisch köstliche Bananen. Dazu für alle „Primus“, das kongolesische Bier, dessen Brauerei in Bukavu im Zuge der Globalsieriung inzwischen vom holländischen Heineken-Konzern einverleibt worden ist.  

Gestern morgen hatte uns Chris bei unserem Quartier abgeholt und wir brauchten über eine Stunde, um überhaupt erstmal aus der Millionenstadt Bukavu rauszukommen – nicht nur, weil die Straßen so schlecht sind, sondern weil überall Verkehrsstau war. Seit ungefähr zwei Jahren hat sich die Zahl der Autos in der Provinzhauptstadt mindestens verdoppelt. Endlich waren wir draußen auf dem Land, hoch oben über dem Ruzizital, fuhren also in südlicher Richtung. Der Wagen rumpelte zunächst entlang von Bananenstauden und Eukalyptusplantagen. Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs und tragen Lasten auf ihrem Kopf entweder in die Stadt, dann sind das meist Früchte des Feldes – oder zurück aufs Dorf, dann sind das Gegenstände für den täglichen Bedarf, die man in der Stadt gekauft hat – und zwar mit dem Geld, das man vielleicht mit dem Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte, die man auf den Markt trug, eingenommen hat. 

Später ändert sich die Landschaft, wir fahren in ein weites, fruchtbares Tal, das am Ende der Ebene steil hinaufgeht, entsprechend die Straße, die sich in Serpentinen hochwindet, nebenan der Abhang wird steil und steiler und immer tiefer. Man mag gar nicht runterschauen. Ab und zu ein Baum, ansonsten kein Mäuerchen oder gar ein Zaun. Glücklicherweise kommt Chris, unser Fahrer aus Kaziba und kennt jede Kurve und jeden Winkel. Souverän führt er den Wagen die Windungen hinauf und wir müssen nicht fürchten, unten im Tal zu landen. Unterwegs erzählt er uns, von den Älteren wisse man noch, daß früher all die hohen Berge rundrum bewaldet gewesen seien. Der letzte „Aderlass“ der Abholzung seien Millionen ruandische Flüchtlinge gewesen, die 1994 auch in dieses Tal kamen und dann alle mit Holz kochen mußten. Endlich enden die Windungen und wir sind auf einer – sagen wir mal – lieblichen und wieder sehr fruchtbaren Hochebene angelangt und zwar zunächst im Gebiet von Mushenyi, später folgen dann noch Kaziba und Luhwindja. Kein Wunder, daß hier viele Menschen siedeln. 

Bald sind wir auch schon bei den „Hangars“ der neuen Ziegelei angelangt, die gestern ihre Arbeit aufgenommen hat, nachdem vorige Woche die Ausbildung in Burhinyi war.

Die Arbeiter haben noch viele Zuschauerinnen und Zuschauer aus der Nachbarschaft, denn solch ein Gerät ist eine Sensation – und dann erst die abgemessenen Ziegel, die das rauskommen. Ob das wirklich alles Männerarbeit ist? Die Frauen fragen Henriette, ob sie denn auch solch eine Arbeit mache – und sie läßt sich sowas nicht zweimal sagen, nimmt den Lehm in ihre Hände und füllt die Formen und betätigt dann die mechanische Ziegelpresse – und kann dann die Begeisterung und den Jubel – nun ja, vor allem der umstehenden Frauen ernten. Vielleicht ist der Bann gebrochen und die Ziegelei muß demnächst auch Frauen für diese Arbeit anstellen. Der Beifall kennt keine Grenzen und deshalb muß alles nochmal wiederholt werden. Jawohl, die deutsche Frau schafft das und ist sich nicht zu schade, die Hände schmutzig zu machen. 

Kurz später kommen wir dann auch in unserem Quartier an, aber die Hausfrau hatte eigentlich erst am nächsten Tag mit uns gerechnet und hat noch nichts zum Abendessen für die hungrigen Gäste vorbereitet. So tröstet sie uns erstmal mit „Primus“ und zaubert dann noch ein köstliches Abendessen auf den Tisch, mit den Resten, die sie noch vorrätig hat. 

Heute morgen gabs dann um ½ 8 Uhr Frühstück, wie überall im Kongo für die Muzungus ein gebackenes Ei un ein paar Mini-Baguettes. Dazu Nescafé, Trockenmilch und Rohrzucker. Danach fahren wir zum Büro unserer Partnerorganisation CDEP, welche die Ziegelei betreibt und auch die Aufforstung leistet. Schon unterwegs treffen wir auf ein paar Kinder und da ist auch Nesco dabei, unser „Gitarrenspieler“ (Reisetagebuch 2011 hier im WIKI, Internationales) vom vorigen Jahr. Wir begrüßen uns und er darf noch mit in den Jeep klettern, wo er dann stolz die letzten Kilometer mit uns zurücklegt. Später erfahre ich, daß er noch drei Geschwister hat, die Mutter aber Witwe ist. Nesco war dann ganz scharf darauf, unsere leeren Plasticflaschen zu bekommen. Wir sahen auch noch,  als er sie seiner Mutter übergab, wie wertvolle Schätze und als ich sie daraufhin persönlich begrüssen wollte, ließ sie alle vor Schreck fallen und kam sofort angelaufen. Sie muß noch sehr jung sein und man sah dem Jungen an, daß sie nur wenig hatten. Die Hose war schon lange aufgerissen, genau dieselbe, die er im vorigen Jahr getragen hatte und dem Hemd fehlten die Knöpfe. Stattdessen hatte er dies kunstfertig mit Grashalmen „zugeknöpft“.

Kurz vorher waren wir wieder vom Gesang des „Waldkindergartens Marafiki wa Mazingira Mushenyi“ begrüßt worden. Auch viele Mitglieder der Partnerorganisation waren zur Begrüssung gekommen und während Henriette, Antonios und einige Baumschulgärtner sich sogleich auf dem Weg zu den Aufforstungsflächen machten, hatte ich Gelegenheit mit ihnen zu sprechen. Wir erläuterten ihnen, weshalb wir gekommen waren und daß wir am Ende der Woche nochmal alle zu einer Versammlung einladen wollten. 

1.5 Mittwoch, 1. Februar 2012

Nach dem Frühstück rumpelt unser Jeep wieder über die steinigen Straßen los, diesmal über Kaziba nach Luhwinja und dort in Serpentinen hoch, nochmal atemberaubenden Abhängen entlang bis auf rund 2.200 Meter, um dort einige aufgeforstete Flächen zu begutachten. Zunächst liefen wir duch einen Pinuswald, der durch ein Projekt von Dialog International in Deutschland schon vor über 10 Jahren aufgeforstet werden konnte und jetzt reichlich Schatten spendet, ja, darunter konnte sogar eine Quelle zu einem Brunnen gefasst werden. Später sehen wir uns die neuere Pflanzung an einem Steilhang an, der extrem durch Erosion bedroht ist, wo aber die Pflänzchen gut gedeihen. Weiter oben im Tal ein Wasserfall, unten der Bach und gegenüber sind wir über beträchtliche Erosionsschäden entsetzt. Aber nebenan, etwas weiter höher gabs auch eine solche Stelle, die der benachbarte Bauer – hier oben gibt’s vereinzelte kleine Rundhütten-Höfe – geschickt bepflanzt hatte, auch mit einheimischen Bäumchen. Einer davon war so gut angegangen, dass er sich schon ausgesamt hatte und rundrum im Erosionsloch schon unzählinge Setzlinge zu sehen waren. Wir kamen auf die Idee, einige auszugraben und auf den danebenliegenden kahlen Hang zu pflanzen. Wenn sie angehen, muss nichts aus Baumschulen herbeigeschleppt werden, man braucht nur die Setzlinge von nebenan umzupflanzen. Später sahen wir, daß dieser einheimische Baum noch an vielen Stellen ausgesamt hatte. Diese Keimlinge müssen nur umgepflanzt werden. Auf dem Rückweg fanden wir dann sogar noch ein ganz kleines Stück Urwald in Form eines „heiligen Hains“, den die Bevölkerung nicht antastet. Welche eine gute Idee! Wir durften durch das Dickicht laufen und fühlten uns wie verzaubert, zumal mit einem Mal auch eine reiche Vogelwelt ihr Konzert gab. Wir sahen Pflanzen, die rundrum fast überall verschwunden waren oder nur ganz vereinzelt vorkamen.   

1.6 Donnerstag, 2. Februar 2012

Beim Frühstück erzählt Henriette von einer SMS aus Deutschland und so erfahren wir, daß Ihr bei 10 Grad minus (Bildergalerie - Kälte in Deutschland) bibbern müßt. Ich hatte mir dagegen gestern in Luhwinja einen Sonnenbrand geholt, weil ich die Sonnenschutzcreme vergessen hatte. Hier ist, wie immer, Sommer. Daran ändert kein Monat des Jahres etwas, außer der Wechsel von Trocken- und Regenzeit. Derzeit sind wir in der Regenzeit, dieser fällt aber zu unserem Glück hauptsächlich des Nachts. Mit den ersten Sonnenstrahlen am Morgen trocknet alles schnell wieder aus. Wir wollen heute in Kaziba einen Berg besteigen und gepflanzte Bäume begutachten. Die steile Fläche ist mit einem Mischwald bepflanzt und wir sind sehr zufrieden. Ich laufe etwas früher zurück, unten im Tal durch Gärten und Felder und warte in Kaziba auf den Fahrer Chris, der etwas Sorge mit einem Moskitostich hatte und sich bei einem Arzt Medikamente holen wollte. „Warten im Kongo“ ist überall schon etwas Besonderes. 

Heute bin ich in Kaziba sozusagen das „8. Weltwunder“. Vor allem Kinder und Jugendliche kommen angelaufen und schauen mich an, als ob ich gerade von einem anderen Stern gekommen sei. Sie merken schnell, dass sie weder mit Kisuaheli noch mit Französisch weiterkommen. Da kramen einige ältere Jungs, welche offenbar die Oberschule besuchen, ihre Englischkenntnisse aus und wollen erstmal wissen, was ich hier mache, weshalb ich hier warte, wo ich herkomme. Und dann kommt das obligatorische „Muzungu please give me money“. Sämtliche Hände strecken sich jetzt nach mir aus. Ich sage, mit euren Händen könnt ihr schon was machen, um Taschengeld zu verdienen, z.B. Wasser holen, Holz suchen oder der Mama im Garten helfen, was verständlicherweise auf wenig Gegenliebe stößt. Endlich kommt Chris und erlöst mich aus diesen zwar interessanten, aber auf Dauer auch unangenehmen Zusammenhängen. Später frage ich mich, was wohl die Entwicklungshelfer – und andere Muzungus kommen nicht in diese Gegend – falsch machen, wenn hier so viele Kinder und ältere Menschen vor allem beim Anblick eines Weißen fast reflexartig die Hand ausstrecken und nach Geld betteln.   

1.7 Freitag, 3. Februar 2012

Letzte Nacht wachte ich plötzlich auf und – sssss – ein Moskito hatte mich mitten auf den Kopf gestochen. Wir haben hier keine Moskitonetze und bei den bisherigen Besuchen im relativ kühlen Mushenyi waren Moskitos eher die Ausnahme. Aber diesmal musste ich mit Zeitung und Taschenlampe bewaffnet auf Moskitojagd gehen. Diesmal hatte ich Glück, das Biest hatte mir schon soviel Blut abgezapft, dass es recht träge geworden war und – platsch – hatte ich einen Blutfleck auf der Zeitung. 

Am frühen Morgen waren Moskitos und die Nacht vergessen. Aus der nahen Kirche kam Trommelklang und Gesang rüber, die Vögel zwitscherten und wir saßen wieder auf der Terrasse beim Frühstück. Heute stand in Mushenyi eine Volksversammlung auf dem Programm. Wir machen uns nach dem Frühstück auf den Weg zum Zentrum unserer Projektpartner. Dort versammeln sich heute Vormittag rund 50 Männer und Frauen, darunter einige Chiefs, der Partner, einige Lehrer, die Baumschulgärtner usw. Wir ziehen Bilanz der Aufforstung der letzten Jahre. Hunderttausende von Bäumchen wurden gepflanzt. Zu Beginn hatten die verschiedenen Gruppen schriftliche Versprechungen abgegeben. Wir lesen diese heute vor, mit den Namen, fragen, wer von den Unterzeichnern da ist und ob die Versprechen erfüllt wurden: Von den Baumschulgärtnern; den Ofenbauleuten, den Bauern; den Frauen; den Chiefs und den Projektleitern. Sie alle bekommen viel Beifall und unseren Dank. Eine Ausnahme gab’s. Diese betraf einen Projektleiter, den wir vor 2 Jahren entlassen mussten. 

Dann sprach Henriette über „Forstmanagement“ und dabei stellte sich heraus, dass hier noch große Wissenslücken bestehen: Wie aufgeforstet wird, ja, das wissen jetzt die Leute von Mushenyi, aber wie man richtig abholzt, ohne den Wald zu zerstören, das muss noch geregelt werden. Am Vortag hatten wir in Luhwinja Flächen gesehen, die mal wieder komplett abgeholzt worden waren. Hier muss wieder komplett bei Null angefangen werden, will man neue Bäume pflanzen, so Henriette. Wenn dagegen einzelne Bäume rausgeholt würden, könne da wieder neugepflanzt werden – oder der Wald lasse von selbst seine eigene Saat wachsen und so bleibe der Forst erhalten. 

Wir hatten dann noch einen dritten Teil der Versammlung. Wie soll denn alles weitergehen, wenn das große Projekt bald beendet ist? Können Baumschulen bestehen bleiben? Doch stattdessen verlagerte sich die Diskussion auf ein paar andere Fragen, die offenbar unter den Nägeln brannten: Was ist mit den Viehzüchtern, denen jetzt Weidegründe verloren gehen? Wir kommen darauf, dass das beste Weideland an die Viehzüchter gegeben werden soll, Aufforstungen nur auf zweitklassigen Böden nötig seien, die z.B. steinig sind usw. Auch die Chiefs hatten einige Probleme und die Landfrage, für die sie zuständig sind, geriet in den Mittelpunkt. Vielleicht hatte Mushenyi noch nie vorher solch eine breite öffentliche Diskussion zu diesen Themen – und die Jugend schaute durch die offenen Fenster und hörte ganz aufmerksam zu, was da die Älteren verhandelten. Ergebnis war der Beschluss Chiefs, Bauern und Viehzüchter sollten sich zusammensetzen und diese Fragen so bald wie möglich einvernehmlich regeln. Und für die Zukunft finden wir schon weitere Lösungen fürs Baume pflanzen.

Anschließend waren die Chiefs und die Gäste aus Bukavu und Europa noch zu einem einfachen Mittagsmahl eingeladen, mit Produkten, welche die Felder Mushenyis hergaben, so Oguli aus Maniokgries, Kassavagemüse aus Maniokblättern, Amarandgemüse, Kartoffeln und etwas Fleisch.

Am Nachmittag saßen wir im kleinen Kreis dann wieder zusammen, um noch über ein ganz anderes Projekt zu beraten. Wir möchten gerne zumindest zwei der Ziegeleien in eine neuzugründende Stiftung einbringen, um daraus eine Schule und Jugendarbeit zu finanzieren, denn mit Ziegeln lässt sich Geld verdienen. Jetzt war das Thema: Wie funktioniert eine Stiftung? Wir sind an diesem Nachmittag noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen, mussten das aber auch nicht. In der Abgeschiedenheit des Gästehauses von Kaziba konnten wir in aller Ruhe erstmal die verschiedenen Möglichkeiten beraten. Stiftungen gibt’s noch nicht viele im Kongo.

Der Abend klang dann gemütlich mit Primusbier und fröhlichem Beisammensein aus. Trotz aller Schwierigkeiten wird im Kongo auch viel gelacht und das ist gut so, denn sonst wäre das Leben mit all seinen Entbehrungen wirklich schwer hier.

1.8 Samstag, 4 Februar 2012

Nach dem Frühstück fahren wir los. Heute geht’s zurück nach Bukavu. Unterwegs begegnen uns zuerst recht viele Lastwagen, insgesamt so 8 oder 9, kurz hintereinander, die alle aus Bukavu kommen, vollbepackt mit Gütern des täglichen Bedarfs und obendrauf Menschen jeden Alters, die am Wochenende ihre Familien auf dem Land besuchen oder ihre Produkte auf den Samstagsmärkten in Kaziba oder Luhwinja verkaufen wollen. Uns begegnen dann aber auch immer wieder Kühe, die von 12 oder 13jährigen Cowboys ganz souverän an den Straßenrand getrieben werden, damit der Jeep mit den Muzungus vorbeifahren kann. Ich denke daran, dass gestern Celestin, unser Projektleiter in Mushenyi, erzählte, wie er als kleiner Junge vom Bauernhof auch solch ein Cowboy war und aufpassen musste, dass seine Kühe nicht allzu steile Hänge hochstiegen, wo sie leicht runterfallen konnten – und genau dort wollten sie heute die Bäume pflanzen. Soweit ich das jedenfalls heute Morgen beurteilen kann, macht Cowboysein den Kindern sichtlich Spaß. 

Ganz anders sah das in Nyangezi aus, wo wir nach etwa einer Stunde Rückfahrt die Serpentinen des Ruzizitals runter, ankommen. Dort sind viele traditionelle Ziegeleien tätig, die Ziegelsteine brennen, ähnlich wie man in Meilern Holzkohle herstellt. Doch mittendrin steht jetzt unsere Ziegelpresse und da ist nun eine Ziegelei, die kein Holz zum Brennen mehr braucht und deren Ziegel eine sehr viel bessere Qualität haben. Aber Ziegel müssen auch transportiert werden. Die Kunden sitzen in der Provinzhauptstadt Bukavu. So standen dafür eine Reihe von Lastwagen bereit, die beladen werden mussten. Und was ich dann sah, verschlug mir fast die Sprache: Vor allem Kinder schleppten, eins nach dem anderen die Ziegel herbei. Die jüngsten dürften so um die 7 oder 8 Jahre alt gewesen sein und sie trugen manchmal 10 oder noch mehr Ziegelsteine auf dem Kopf zum Lastwagen, ohne dass auch nur einer runterfiel und die Mädchen hatten ein Stirnband und schleppten die Last damit haltend auf dem Rücken, so wie ihre Mütter die Lasten tragen. Ich hörte, sie seien zu arm um zur Schule zu gehen und arbeiteten jeden Tag hier. Ich muss gestehen, die Gesichter dieser armen Wesen, die solch schwere Lasten tagaus tagein bei glühender Hitze zu tragen hatten, werde ich so schnell nicht vergessen. Natürlich habe ich unseren Leuten eingeschärft, dass wir jetzt nicht eine Stiftung zum Wohle der Jugend gründen können, welche dann die Ziegel unserer Pressen - so wie diese Kinder - zu den Lastwagen schleppen. Bei unserem Projekt müsse Kinderarbeit absolut tabu sein. Die jüngsten Mitarbeiter an der Ziegelpresse sind übrigens 18 Jahre alt – und diese Tätigkeit ist wesentlich angenehmer als dies Schleppen der Ziegelsteine.

Dabei hat der Kongo die meisten völkerrechtlichen Verträge zum Schutze der Jugend unterzeichnet, aber leider kümmert sich der Staat kaum um die Einhaltung dieser Verpflichtungen. An vielen Baustellen ist Kinderarbeit zu sehen und man lässt sie vor allem die Steine schleppen…

Bei der Rückfahrt sahen wir dann aber auch mal etwas ganz anderes, das uns dann in komplettes Erstaunen versetzte: Wir sahen gleich mehrmals unterwegs Männer, die ihren Baby-Nachwuchs auf dem Rücken trugen, so wie dies sonst die Mütter in Afrika handhaben. Das ist wirklich eine kleine Sensation, denn bisher dachten wir, die kongolesischen Männer seien sich für sowas zu schade, hier ihren Frauen zu helfen.

Mittags erreichten wir dann wieder das lärmige, staubige Bukavu mit seinen Tausenden von Menschen; die alle zu Fuß und mit Lasten bepackt, vorzugsweise auf dem Kopf, entweder in die Stadt liefen oder wieder nach Hause aufs Land. Am Straßenrand ein Kleinhändler neben dem anderen sitzend oder stehend. Angeboten wird hier praktisch alles, von der Telefonkarte bis zum Toilettenpapier, Wasserflaschen; Primus, Brot, Maniok, Bananen, Avocado, Schuhe, Bekleidung, auch Nagellack für Frauen, Seife, Kochgeschirr, sogar Möbel usw. usf. Alles im Freien und wenn’s regnet werden schnell große Plastikplanen drueber ausgebreitet. 

Im Quartier angekommen, habe ich allerdings erstmal die Dusche über mich regnen lassen. Nach einer Woche auf dem Land war dies bitter nötig. 

Am Nachmittag kam dann noch der deutsche Pater C. mit einer Besucherin aus der Heimat vorbei und wir tranken zusammen Tee. Pater C. leitet die hiesige kirchliche Druckerei und wir kennen uns schon seit Jahren. Er lebt schon gut 40 Jahre im Kongo und spricht die lokalen Sprachen Mashi und Kisuaheli. Seine Verbindung zur Heimat hielt er bisher auch über die „Deutsche Welle“ aufrecht; deren Nachrichten er regelmässig über Kurzwelle empfangen konnte. Aber jetzt ist er gar nicht gut auf die „Deutsche Welle“ zu sprechen, denn man hat die Kurzwellensendungen zugunsten des Internets schlicht eingestampft. Als ob man im afrikanischen Busch, wohin doch gesendet werden solle, überall Internet habe. Die Leute bei der „Deutschen Welle“ seien ganz realitätsfern, so Pater C. Jetzt muss er BBC oder Radio France International hören, um Nachrichten aus Europa zu bekommen, die etwas näher an den Bedürfnissen ihren afrikanischen Hörer geblieben sind.

 

2 Kongobriefe 2012, Teil 2

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Geändert am 19.03.2012 13:46 von Jugendserver Niedersachsen

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